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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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tief in die Augen. Natürlich gab es allerlei Vermutungen – über ihr Sexualleben, meine ich -, aber es hat ihr nie einer etwas nachweisen können. Sie ist immer sehr schlau gewesen. Aber wenn Sie gesehen hätten, wie sie sich einem Prominenten auf Durchreise an den Hals geworfen hat, wäre Ihnen klargeworden, daß sie mit dem einen oder anderen eine Affäre gehabt haben mußte. Mit ihrem Charme hat sie sicher etliche verhext, sie war ja außerordentlich attraktiv. Aber die Männer im Ort, die hat sie keines Blickes gewürdigt.«
    »Hans Jongboed hat immer behauptet, eine Affäre mit ihr gehabt zu haben«, sagte der Mann, den sie Theo nannten. Das verursachte lautes Gelächter, mehrere Stimmen in der Nähe wiederholten höhnisch: »Hans Jongboed!« Doch Pedersen regte sich nervös.
    »Aber meine Herren«, fing er an, »Mr. Ryder und ich sprachen gerade über...«
    »Ich habe nie mit ihr gesprochen. Nur dieses eine Mal. Um sie um den Katalog zu bitten.«
    »Ach Theo, mach dir nichts daraus.« Der Mann mit den Sommersprossen schlug seinem Freund auf den Rücken, was letzteren ein wenig nach vorn sacken ließ. »Mach dir nichts daraus. Denk nur an die Misere, in der sie sich jetzt befindet.«
    Theo schien ganz in Gedanken versunken. »So war sie in allem«, sagte er. »Nicht nur in der Liebe. Immer hatte sie nur Zeit für die Leute, die zum Kreis der Künstler gehörten, und dann auch nur für die wirkliche Elite. Anders konnte man sich ihren Respekt gar nicht verdienen. Hier mochte sie keiner. Schon lange, bevor sie Christoff geheiratet hat, mochte sie hier keiner.«
    »Wenn sie nicht so schön gewesen wäre«, sagte der Mann mit den Sommersprossen zu mir, »hätte sie jedermann hier verabscheut. Aber so hat es immer Männer wie unseren Theo hier gegeben, die bereitwillig ihrem Charme erlagen. Na jedenfalls, dann kam Christoff in die Stadt. Cellist von Beruf, noch dazu einer, der bereits beachtliche Erfolge vorzuweisen hatte! Völlig schamlos machte Rosa ihm Avancen. Es schien ihr ganz egal zu sein, was wir uns dabei dachten. Sie wußte, was sie wollte, und ohne alle Skrupel ist sie auf ihr Ziel losgegangen. Durchaus bewundernswert auf eine ekelhafte Art und Weise. Christoff war völlig verzaubert, und noch in seinem ersten Jahr hier haben die beiden geheiratet. Christoff war genau das, worauf sie so lange gewartet hatte. Tja, ich hoffe, es war die Sache wert. Sechzehn Jahre mit ihm verheiratet. Sie hatte gar kein schlechtes Leben. Aber was wird jetzt werden? Hier ist er erledigt. Was wird sie jetzt wohl machen?«
    »Jetzt bekommt sie nicht einmal mehr eine Stellung in der Galerie«, sagte Theo. »All die Jahre hat sie uns viel zu sehr gekränkt. Uns in unserem Stolz gekränkt. Sie ist unten durch in dieser Stadt, haargenau wie Christoff selbst.«
    »Die einen hier meinen«, sagte der Mann mit den Sommersprossen, »daß Rosa mit Christoff aus der Stadt fortgeht und ihm erst den Laufpaß gibt, wenn sie sich in einer anderen Gegend niedergelassen haben. Aber unser Herr Dremmler« – er deutete auf jemanden in der vorderen Reihe – »ist fest davon überzeugt, daß sie hierbleiben wird.«
    Der Mann in der vorderen Reihe drehte sich um, als sein Name fiel. Offensichtlich hatte er ganz genau zugehört, denn jetzt sagte er mit einigem Nachdruck: »Was Rosa angeht, dürft ihr nicht vergessen, daß sie eine regelrecht ängstliche Seite hat. Ich bin mit ihr zur Schule gegangen, wir waren im selben Jahrgang. Diese Seite, die hat sie immer schon gehabt, und das ist ihr Fluch. Diese Stadt ist nicht gut genug für sie, aber sie ist auch zu ängstlich, um wegzugehen. Ihr wißt doch, daß sie bei all ihrem Ehrgeiz nie versucht hat, von hier fortzugehen. Diese ängstliche Seite, viele Leute merken das nicht, aber die ist wirklich da. Deshalb würde ich auch darauf wetten, daß sie bleibt. Sie wird bleiben und ihr Glück hier noch einmal versuchen. Sie wird sich Hoffnungen machen, einen anderen Prominenten auf Durchreise einzufangen. Für ihr Alter ist sie schließlich noch sehr attraktiv.«
    Eine hohe piepsige Stimme ganz in der Nähe ließ sich vernehmen: »Vielleicht macht sie sich an Brodsky ran.«
    Das löste ein noch schallenderes Gelächter aus als vorher.
    »Das ist doch gut möglich«, fuhr die Stimme in einem Ton gespielter Kränkung fort. »Na schön, er ist alt, aber so jung ist sie nun auch nicht mehr. Und wer sonst kann ihr hier schon das Wasser reichen?« Wieder viel Gelächter, was den Sprecher weiter anspornte.

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