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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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schien nüchterner zu sein, obwohl auch er die Krawatte gelockert hatte. Ich hatte keine Zeit, den Rest der Gesellschaft eingehend zu betrachten, denn schon schüttelte der Betrunkene mir zum zweitenmal die Hand und sagte:
    »Ich hoffe, der Film gefällt Ihnen.«
    »O doch. Es ist sogar zufällig mein absoluter Lieblingsfilm.«
    »Aha. Na, dann haben Sie ja Glück, daß er heute abend gezeigt wird. Ja, ich mag den Film auch. Ein richtiger Klassiker. Wollen Sie vielleicht dieses Blatt übernehmen, Mr. Ryder?« Er hielt mir seine Karten vor das Gesicht.
    »Nein, danke. Bitte unterbrechen Sie Ihr Spiel nicht meinetwegen.«
    »Ich habe Mr. Ryder gerade erzählt«, sagte Pedersen hinter mir, »daß das Leben hier nicht immer so war wie jetzt. Selbst Sie, die Sie doch jünger sind als ich, werden das gewiß bestätigen können...«
    »Ach ja, die gute alte Zeit«, sagte der Betrunkene verträumt. »Ach ja. Alles war wunderbar in der guten alten Zeit.«
    »Theo denkt an Rosa Klenner«, sagte hinter mir der Mann mit den Sommersprossen, womit er allseitiges Gelächter auslöste.
    »Blödsinn«, protestierte der Betrunkene. »Und hör auf, mich vor unserem berühmten Gast in Verlegenheit bringen zu wollen.«
    »Ach ja, ach ja«, fuhr sein Freund fort. »Damals war Theo bis über beide Ohren verliebt in Rosa Klenner. Das heißt, in die jetzige Frau Christoff.«
    »Ich bin nie in sie verliebt gewesen. Übrigens war ich damals schon verheiratet.«
    »Um so bedauerlicher, Theo. Um so bedauerlicher.«
    »Das ist kompletter Blödsinn.«
    »Ich weiß noch, Theo«, ließ sich eine Stimme aus der Reihe dahinter vernehmen, »wie du uns mit dem stundenlangen Gerede über Rosa Klenner gelangweilt hast.«
    »Ich habe ja damals gar nicht gewußt, wie sie wirklich war.«
    »Wie sie wirklich war, hast du doch gerade so anziehend gefunden«, fuhr die Stimme fort. »Du bist schon immer hinter Frauen hergewesen, die dich keines Blickes gewürdigt haben.«
    »Da ist was Wahres dran«, sagte der Mann mit den Sommersprossen.
    »Da ist überhaupt nichts Wahres dran...«
    »Nein, nein, laß mich Mr. Ryder das erklären.« Der Mann mit den Sommersprossen legte seinem betrunkenen Freund die Hand auf die Schulter und beugte sich zu mir vor. »Die jetzige Frau Christoff – meist nennen wir sie immer noch Rosa Klenner – ist ein Mädchen von hier, eine von uns, mit uns aufgewachsen. Sie ist immer noch eine sehr schöne Frau, und damals, na ja, damals waren wir alle ganz verzaubert von ihr. Sie war wunderschön und sehr abweisend. Sie hat damals in der Galerie Schlegel gearbeitet, die hat jetzt geschlossen. Da hat sie immer hinter einem Schreibtisch gesessen, wohl nicht viel mehr als eine einfache Angestellte. Sie war immer dienstags und donnerstags da...«
    »Dienstags und freitags «, unterbrach der Betrunkene.
    »Dienstags und freitags. Entschuldigung. War ja klar, daß sich Theo daran erinnern würde. Schließlich ist er ständig in die Galerie gegangen – es war einfach nur ein kleiner weißer Raum -, er ist ständig hingegangen und hat so getan, als würde er sich die ausgestellten Kunstgegenstände ansehen.«
    »Blödsinn...«
    »Und du warst damit nicht der einzige, stimmt es, Theo? Du hattest eine ganze Reihe von Rivalen. Jürgen Haase. Erich Brull. Sogar Heinz Wodak. Die sind dort ständig ein und aus gegangen.«
    »Und Otto Röscher«, sagte Theo sehnsüchtig. »Der war auch oft da.«
    »Ach ja? Tja, Rosa hatte eine Menge Verehrer.«
    »Ich habe nie mit ihr gesprochen«, sagte Theo. »Nur einmal, als ich sie um einen Katalog bat.«
    »Über Rosa«, fuhr der Mann mit den Sommersprossen fort, »ist uns eines schnell klargeworden, und da waren wir noch Teenager, daß nämlich ihrer Meinung nach kein Mann aus dem Ort gut genug für sie war. Sie stand bald in dem Ruf, Annäherungsversuche auf die gemeinste Art zurückzuweisen, die sich nur denken läßt. Deshalb haben auch so arme Kerle wie unser Theo hier vernünftigerweise erst gar nicht mit ihr gesprochen. Aber kaum ist einer auf Durchreise in der Stadt gewesen, der irgendwie berühmt war, irgendein Künstler, etwa ein Musiker oder Schriftsteller, hat sie ihm ohne jede Scham nachgestellt. Sie war in allen nur erdenklichen Komitees, was bedeutete, daß sie Zugang zu praktisch jedem Prominenten hatte, der die Stadt bereiste. Es gelang ihr, zu allen Empfängen zu gehen, und kaum war eine halbe Stunde vergangen, da hatte sie den Besucher in eine Ecke gedrängt und redete und redete und schaute ihm

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