Die Ungetroesteten
allmählich den Verdacht hatte, sie könne eine Konkurrentin von Hoffman sein, die es sehr geärgert hatte, daß ich in seinem Haus abgestiegen war. Doch ihre ganze Haltung und die Art, in der sie im Vorübergehen Leuten zunickte und zulächelte, ließen kaum Zweifel daran, daß sie die Gastgeberin dieses Abends war, und daraus schloß ich, daß sie die Gräfin selbst sein mußte.
Ich hatte angenommen, daß sie mich entweder zu einem bestimmten Punkt in dem Raum oder zu einer bestimmten Person führen würde, doch nach einer Weile hatte ich den deutlichen Eindruck gewonnen, daß wir langsam immer im Kreis herumgingen. Tatsächlich war ich mehrfach überzeugt gewesen, daß wir in einer Ecke des Zimmers mindestens schon zweimal vorher gewesen waren. Was ich außerdem leicht befremdet zur Kenntnis nahm, war die Tatsache, daß sich meine Gastgeberin, obwohl sich ihr Köpfe zuwandten, um sie zu begrüßen, nicht die Mühe machte, mich jemandem vorzustellen. Und obwohl mir manche von Zeit zu Zeit höflich zulächelten, schien sich niemand besonders für mich zu interessieren. Jedenfalls begann niemand eine Unterhaltung mit mir, als ich vorbeiging. Das verblüffte mich ein wenig, denn ich hatte mich schon gewappnet gegen das übliche Bedrängtwerden mit Fragen und Komplimenten.
Dann fiel mir nach einer Weile auf, daß an der ganzen Atmosphäre im Raum etwas Merkwürdiges war – irgend etwas Gezwungenes, ja sogar Theatralisches an der ganzen Fröhlichkeit -, obwohl ich es nicht genau benennen konnte. Doch schließlich blieben wir stehen – die Gräfin fing eine Unterhaltung mit zwei juwelenübersäten Frauen an -, und endlich erhielt ich die Gelegenheit, mich umzuschauen und einige Eindrücke zu sammeln. Erst da merkte ich, daß es sich bei dem Ereignis dieses Abends keineswegs um eine Cocktailparty handelte, sondern daß alle diese Leute tatsächlich darauf warteten, zum Diner gebeten zu werden; daß das Diner schon vor mindestens zwei Stunden hätte serviert werden sollen, aber daß die Gräfin und ihre Mitarbeiter genötigt gewesen waren, den Beginn des Essens zu verschieben, und zwar weil sowohl Brodsky – der offizielle Ehrengast – als auch ich selbst – die große Überraschung des Abends – noch nicht eingetroffen waren. Als ich dann meinen Blick weiterschweifen ließ, begriff ich allmählich, was genau vor unserer Ankunft geschehen war.
Diese Abendveranstaltung war das bisher größte der zu Brodskys Ehren gegebenen Diners. Da sie auch die letzte vor dem entscheidenden Ereignis am Donnerstag abend war, hatte ohnehin niemand mit einer allzu gelösten Atmosphäre gerechnet, und Brodskys Verspätung hatte für weitere Anspannung gesorgt. Doch anfangs waren die Gäste – die sich ihrer Stellung als Elite der Stadt alle in höchstem Maße bewußt waren – noch ruhig geblieben, und alle hatten es sorgsamst vermieden, irgendeine Bemerkung zu machen, die als Zweifel an Brodskys Zuverlässigkeit hätte ausgelegt werden können. Den meisten war es sogar gelungen, Brodsky überhaupt nicht zu erwähnen und ihrer Anspannung dadurch Herr zu werden, daß sie sich in endlosen Spekulationen darüber ergingen, wann denn nun das Diner serviert würde.
Dann war die Sache mit Brodskys Hund bekanntgeworden. Wie die Sache in solch nachlässiger Art und Weise hatte bekanntgegeben werden können, war nicht klar. Wahrscheinlich war ein Telefonanruf gekommen, und einer der Stadtoberen hatte es in dem fehlgeleiteten Versuch, die Atmosphäre aufzulockern, einigen Gästen gegenüber ausgeplaudert. Zuzulassen, daß eine solche Sache sich durch Mundpropaganda verbreitete, noch dazu unter Menschen, die vor Sorge und Hunger ohnehin schon angespannt waren, mußte Folgen haben, die für jedermann klar auf der Hand lagen. Bald schon kursierten allerhand wilde Gerüchte im Raum. Brodsky sei vollkommen betrunken dabei entdeckt worden, wie er den Kadaver seines Hundes in den Armen wiegte. Brodsky sei draußen auf der Straße in einer Pfütze liegend gefunden worden und habe unverständliches Zeug gelallt. Brodsky habe, von Kummer überwältigt, Paraffinöl getrunken, um sich das Leben zu nehmen. Diese letzte Geschichte hatte ihren Ursprung in einem sieben Jahre zurückliegenden Zwischenfall, als Brodsky im Zustand der Volltrunkenheit tatsächlich von einem benachbarten Bauern ins Krankenhaus gebracht wurde, nachdem er eine gewisse Menge Paraffin zu sich genommen hatte – aber ob er das mit der Absicht getan hatte, sich zu töten, oder
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