Die Ungetroesteten
er viel von seiner üblichen höflichen Art zurückgewonnen.
»Sagen Sie, Mr. Ryder. Ist im Hotel alles zu Ihrer Zufriedenheit?«
»O ja. Alles ist wunderbar, danke.«
»Ihr Zimmer gefällt Ihnen?«
»O ja, ja.«
»Ihr Bett. Ist es bequem?«
»Sehr bequem.«
»Ich frage das, weil wir ganz besonders stolz auf unsere Betten sind. Wir erneuern sehr oft die Matratzen. Kein anderes Hotel in der Stadt erneuert die Matratzen so oft wie wir. Das weiß ich ganz sicher. Viele unserer sogenannten Konkurrenten wären der Ansicht, daß die Matratzen, die wir hinauswerfen, noch etliche weitere Jahre ihren Dienst tun würden. Übrigens, wenn man all die gebrauchten Matratzen, die wir im Verlauf von fünf Geschäftsjahren hinauswerfen, hintereinander aufstellen würde, könnte man entlang unserer Hauptstraße eine Reihe bilden, angefangen beim Bürgerhaus, am Brunnen vorbei, bei der Sterngasse um die Ecke und bis hin zu Herrn Winklers Apotheke, wußten Sie das?«
»Nein. Das ist ja wirklich sehr beeindruckend.«
»Lassen Sie mich ganz offen sein, Mr. Ryder. Ich habe viele Überlegungen angestellt, was Ihr Zimmer betrifft. In den Tagen vor Ihrer Ankunft habe ich natürlich beträchtliche Zeit damit zugebracht, darüber nachzudenken, welches Zimmer ich Ihnen geben sollte. Die meisten Hotels hätten eine einfache Antwort auf die Frage: ›Welches ist das beste Zimmer des Hauses?‹ Aber in meinem Hotel, Mr. Ryder, ist das nicht der Fall. Im Lauf der Jahre habe ich so vielen Zimmern so viele individuelle Aufmerksamkeit angedeihen lassen. Es gab sogar Zeiten, in denen ich mich – haha! -, manche würden sagen, regelrecht besessen, ja besessen, mit dem ein oder anderen Zimmer beschäftigt habe. Wenn ich erst einmal das Potential eines bestimmten Zimmers erfaßt habe, bringe ich ganze Tage damit zu, darüber nachzudenken, und dann gehe ich mit höchster Sorgfalt daran, es so renovieren zu lassen, daß es meinen Vorstellungen so nahe wie nur möglich kommt. Nicht immer gelingt mir das, aber bei einer ganzen Reihe von Gelegenheiten sind die Ergebnisse, nach langer, harter Arbeit, doch dem sehr nahe gekommen, was ich mir vorgestellt habe, und das ist natürlich äußerst befriedigend. Aber dann – und das ist womöglich eine Schwäche meines Charakters – packt mich, kaum daß ich die Renovierung des einen Zimmers zu meiner Zufriedenheit abgeschlossen habe, das Potential eines anderen Zimmers. Und bevor ich es noch so richtig begreife, widme ich schon wieder einem neuen Projekt viel Zeit und Überlegung. Ja, manche würden das wohl als Besessenheit bezeichnen, aber ich kann darin nichts Schlimmes sehen. Kaum etwas ist so langweilig wie ein Hotel, das alle Zimmer nach demselben faden Konzept gestaltet hat. Ich dagegen war immer schon der Meinung, daß jeder Raum in Übereinstimmung mit seinen eigenen einzigartigen Merkmalen entworfen werden sollte. Na jedenfalls, was ich damit sagen will, Mr. Ryder, ist folgendes: Kein Zimmer im Hotel ist mein spezielles Lieblingszimmer. Also habe ich lange nachgedacht und bin dann zu dem Schluß gekommen, daß Sie sich in dem Zimmer, das Sie augenblicklich bewohnen, wahrscheinlich am wohlsten fühlen werden. Aber nachdem ich Sie nun kennengelernt habe, bin ich mir da nicht mehr ganz so sicher.«
»Aber ich bitte Sie, Mr. Hoffman«, sagte ich, indem ich ihn unterbrach. »Das Zimmer, in dem ich jetzt untergebracht bin, ist wirklich wunderbar.«
»Aber ich habe den ganzen Tag schon, seit ich Sie kennengelernt habe, immer mal wieder daran gedacht. Es scheint mir, daß Sie vom Naturell her besser in ein anderes Zimmer passen würden, das ich da im Sinn habe. Vielleicht zeige ich es Ihnen morgen früh einmal. Ich bin ganz sicher, es wird Ihnen besser gefallen.«
»Nein wirklich, Mr. Hoffman, bitte. Das Zimmer, in dem ich jetzt...«
»Lassen Sie mich ganz offen sein, Mr. Ryder. Ihre Ankunft hat das Zimmer, in dem Sie jetzt untergebracht sind, seiner ersten wirklichen Prüfung unterworfen. Wissen Sie, es ist das erste Mal, daß ich seit der völligen Umgestaltung des Zimmers vor vier Jahren einen wirklich berühmten Gast dort wohnen habe. Natürlich war es mir nicht möglich vorauszusehen, daß Sie selbst uns eines Tages die Ehre geben würden. Doch Tatsache ist, daß ich bei der Arbeit an dem Zimmer jemanden im Sinn hatte, der Ihnen ganz ähnlich ist. Sehen Sie, ich will damit sagen, daß das Zimmer erst jetzt, nach Ihrer Ankunft, zum erstenmal der Bestimmung zugeführt wurde, für die es
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