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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Notto musste weiter. Er musste sein Ziel erreichen. Deshalb watete er unverdrossen und ohne weiter nachzudenken durch den Fluss, das Wasser reichte ihm bis zur Taille, dann blieb er vor dem Mädchen stehen.
    »Ich heiße Notto«, sagte er.
    Sie hob ihren Blick.
    »Ja, und?«
    Das verwirrte den ansonsten furchtlosen Notto natürlich.
    »Ich heiße Notto«, wiederholte er.
    Sie schaute ihn weiterhin an, musterte ihn, durchschaute ihn, ja, sie schaute kreuz und quer durch Notto hindurch, durch alle seine Glieder, so ein Gefühl war das.
    »Geht das?«, fragte sie.
    »Was?«
    »Notto zu heißen? Ich habe noch nie von jemandem gehört, der Notto heißt.«
    »Jetzt hast du von einem gehört«, sagte Notto.
    »Hallo, Notto.«
    Nachdem er seinen Namen gesagt hatte, konnte sie ja wohl auch den ihren nennen. Das war nur recht und billig. Doch das Mädchen wollte offenbar nicht so recht mit der Sprache heraus.
    »Wie heißt du?«, fragte Notto.
    Da verlor sie das Interesse und betrachtete lieber ihre Hände in dem funkelnden Wasser, das vorbeiströmte. Doch plötzlich zog sie sie heraus und schubste Notto in den Fluss, lachte, stand auf und lief davon, barfuß und leicht.
    »Gro«, rief sie. »Ich heiße Gro!«
    Notto kletterte auf seiner Seite an Land und blieb erschöpft liegen, während er sie verschwinden sah, das Haar wie ein schwarzer Flügel im Nacken. Es machte nichts. Dass sie ihn geschubst hatte, war wie eine Liebkosung gewesen. Gern konnte sie ihn noch häufiger schubsen, sooft sie wollte.
    An diesem Abend hatte er keinen Appetit und konnte auch nicht schlafen.
    Er dachte an das Mädchen, das Gro hieß.
    Sie hatte ihn gelockt und mit ihm gespielt, und er ließ sich gern locken und necken, denn er war noch vertrauensselig, ja, vielleicht war er für den Rest seines Lebens vertrauensselig, denn er hörte nie auf, an die Menschen zu glauben.
    Doch am nächsten Morgen ging er nirgendwohin.
    Der Vater glaubte, der Sohn hätte endlich Vernunft angenommen.
    Doch die Mutter betrachtete ihn bekümmert.
    »Bist du krank, Notto?«
    Er schüttelte nur den Kopf und schaute aus dem kleinen Fenster. Er konnte doch nicht gehen, wenn Gro hier war. Das war einleuchtend. Er konnte sie nicht verlassen.
    Und später am Tag begegneten sie sich zufällig an derselben Stelle am Fluss.
    Eine Weile saßen sie nur da und schauten auf ihre Hände, die sie ins Wasser getaucht hatten, beide schwiegen, und als der Strom stark genug wurde, kamen sie sich näher.
    »Du bist mutig«, sagte Gro.
    »Mutig? Ich?«
    »Ja, dass du einfach durch den Fluss watest.«
    Jetzt musste Notto lachen.
    »Na, das ist doch wohl nicht mutig.«
    »Du hättest ertrinken können.«
    Notto wurde von diesem Gespräch ganz männlich zumute.
    »Der Fluss ist nicht tiefer, als dass ich nicht in ihm knien könnte und immer noch Luft kriege.«
    Gro, dieser Angsthase, ließ jedoch nicht locker.
    »Aber spürst du die Strömung nicht? Die kann dich doch jeden Moment mitreißen.«
    Doch, Notto spürte sie, denn ihre Hände wurden noch näher aneinandergedrückt.
    Da nahm er all seinen Mut zusammen und sagte, was auch stimmte, auf seine gleichzeitig zurückhaltende und direkte Art:
    »Es gibt so viele Arten von Strömungen, die ich spüre.«
    Gro schaute zu Boden, und erbebte sie nicht? Notto konnte es nicht anders deuten, als dass die Zeit gekommen war.
    Er riss die Hände aus dem Fluss und legte sie um Gro. Sie ließ es geschehen, zumindest eine Zeitlang, und es störte sie auch nicht, dass sie beide dabei nass wurden. Doch als er ihren Mund überfallen wollte und sich an den Brüsten zu schaffen machte, da löste sie sich aus Nottos Griff, geschmeidig und stark wie ein Biber, und lief davon, wobei sie rief:
    »Morgen Abend, Notto. Morgen Abend!«
    Und Notto durchschritt erneut den Fluss, und er konnte auf dem Wasser gehen. Er war ein Engel, den der Fluss selbst auf seine Schultern nahm und ihn trockenen Fußes an Land trug.
    Oh, Biberfotze!
    Notto schmiedete insgeheim große Pläne, legte sie sich im Kopf zurecht.
    Er bereitete sich vor.
    Rief sich die Namen von Städten, Plätzen und Ländern vom Globus in der Schulstube und anderen Träumen ins Gedächtnis: Amerika, Kuba, Klondyke.
    Die Mutter beobachtete Notto, misstrauisch und neugierig, doch was nützte das. Überall konnte sie hinschauen, nur nicht in seinen Kopf.
    »Hast du jemanden kennengelernt?«, fragte sie.
    »Nein, wer sollte das denn sein?«, rief Notto, bevor seine Mutter noch zu Ende gesprochen hatte.
    Der Vater

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