Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
Notto lachte nicht. Er stand auf, ganz ernst. Es wurde still. Der Studienrat riss sich zusammen und zeigte auf ihn. Und Notto sagte, zum ersten Mal, diese berühmten Worte, die Emphase unseres Volks, das Emblem der Kantigen:
»Wenn ich gehe, denke ich weniger.«
Das gab dem Studienrat zu denken.
Denn es geschah auf diesen Strecken, zur Schule und wieder zurück, dreimal die Woche, dass Notto eine ganz spezielle Ruhe überkam. Alles fiel an seinen Platz, ohne dass er selbst wusste, welche Steinchen es waren, die sich da zusammenfügten. Er wusste nur, wozu er geschaffen war: um zu gehen. Und mit der Zeit wusste er auch, was ihn so zufrieden machte. Früher war er auf gut Glück und der Nase nach durch die Wälder und über die Hügel gegangen. Jetzt dagegen hatte er einen bestimmten Ort, zu dem er ging, nämlich die Schulstube in Evje, und einen genauso fest definierten Ort, an den er zurückging, nämlich sein Zuhause. Mitten in dem menschlichen Chaos, das auf den Namen Notto getauft worden war, gab es eine vergleichbare Ordnung: Er ging in sich, und auf diese Art und Weise fand er nicht sich selbst, sondern seine Aufgabe, und die Aufgabe ist der Sinn. Ich sage euch: sich selbst zu finden, das ist eine gefährliche Übung. Meistens wird man enttäuscht von der Erkenntnis. Es ist eine Kur, die ich niemandem vorschlagen würde. Ich empfehle eher das Entgegengesetzte, und ich spreche aus Erfahrung: Versteckt euch.
Der Studienrat schrieb über seinen bescheidenen, rätselhaften Schüler in einem der wenigen Dokumente, die erhalten sind:
Notto Senum ist höflich und erfüllt seine Pflichten, ab und zu ist er sogar scharfsinnig. Er hat nur den Nachteil, dass er weder still sitzen noch stehen kann.
Es lebe Notto!
Dann kam ein Mädchen in die Gegend, sie sollte den Sommer auf einem Nachbarhof auf der anderen Flussseite verbringen, bei entfernten Verwandten, jemand behauptete, sie wäre hergeschickt worden, damit man ihr Manieren beibringe, sie war nämlich laut der gleichen Gerüchte nicht zu zähmen, und die meisten hielten Abstand zu ihr, was für die Jungen, die draußen auf den Feldern in der Nähe arbeiteten, keine einfache Sache war. Sie sahen ihr lange nach. Sie kam von der Küste und war laut Notto die absolut vollkommenste Frauensperson, die er jemals gesehen hatte. Und obwohl Notto noch nicht viele Frauenspersonen gesehen hatte, muss ich ihn wohl beim Wort nehmen. Sie war, immer noch laut Notto, dunkelhaarig und mysteriös, sie hatte eine Haut, die war golden wie Kupfer, und ebenso leuchtend war ihr Blick. Vielleicht floss ja ein wenig spanisches oder italienisches Blut durch die Adern des Mädchens, denn es gab nicht wenige Seemänner vom Mittelmeer, die im Laufe der Zeit ihr Päckchen bei Frauen an der Küste zurückgelassen hatten. Sie hieß Gro. Notto sah sie zum ersten Mal, als er am Fluss entlangging.
Er blieb stehen, ja, er blieb stehen, während er ging, und traute seinen Augen kaum.
Sie hockte am Ufer, auf der anderen Seite, mit nackten Schultern, die Hände im Wasser, und schien ihr eigenes Spiegelbild zu bewundern.
Notto bewunderte sie auch.
Lassen Sie mich diese schmerzhafte und kurze Begegnung – auch wenn sie, was Notto betraf, ein Leben lang andauerte – nicht mehr als nötig in die Länge ziehen. Das bin ich ihm schuldig, dass ich vermeide, etwas aufzuwühlen, was er am liebsten in sich verbergen würde, abgesehen von einigen wenigen Momenten, und auch dann war er nicht zu stoppen. Ich will es so sagen: Dieser Sommer dauerte nur drei Tage lang und nahm nie ein Ende, wie so viele flüchtige Sommer.
Doch ich muss zugeben, dass es mich ab und zu überkommt und ich mich frage, ob es diese Gro überhaupt gegeben hat, ob sie nicht nur eine Erfindung war, eine südländische Luftspiegelung, die in Nottos sensiblem Gemüt zu einer Sonnenfinsternis wurde. Aber ich neige dazu, ihm zu glauben. Wenn Notto sagt, dass Gro seine große Liebe war, dann war sie es, ja, selbst wenn es sie nicht gab. Es steht mir nicht zu, an seinem Leben und seiner Geschichte zu zweifeln.
Sie entdeckte Notto nicht, oder sie tat so, als sähe sie ihn nicht, während sie da hockte und die Hände abspülte, kostbar und unwiderstehlich. Notto war also stehen geblieben. Allein das war ein Warnzeichen, das nichts Gutes verhieß. Nur in äußerst angespannten Situationen blieb Notto stehen, bevor er angekommen war. War er erst einmal losgegangen, dann musste der Weg auch beendet werden, sonst war alles sinnlos und vergeblich.
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