Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
vor, erwartungsvoll, grinsend, jetzt wollten sie endlich das wahre Gesicht des vollkommen verrückten Strebers in seiner freien Entfaltung sehen. Doch die Einzige, die ich sah, das war Alma, kerzengerade, streng und grau von beiden Seiten, und danach Direktor Lund. Sie saßen in der ersten Reihe rechts. Er legte die Hand in den Schoß des Wintergartens. Was sollte das bedeuten? Die Stille, das, was noch von ihr übrig war, konnte nicht so weitergehen.
Ohne Manuskript:
»Aber missverstehen Sie mich bitte nicht, meine Damen und Herren. Ich möchte dieser wunderbaren Stimmung hier keinen Dämpfer erteilen, auch wenn wir dem Elend entgegengehen. Konkurse. Kriege. Zusammenbrüche. Unfälle. Unglücke. Es wird immer schlimmer werden. In rauen Mengen! Lassen Sie uns versuchen, das zu vergessen, was kommen wird. Denn heute Abend gibt es ein Fest! Und das haben wir verdient! Genauer gesagt, wir haben es uns verdient. Denn niemand verdient einfach so etwas, außer einem Tritt von hinten, so heftig, dass der Prolapsus aus dem Mund fällt, wenn er nicht selbst dazu beiträgt. Experto credite! So sei es! Ich spreche im Namen meiner Kollegen, wenn ich das so sagen darf, der Studenten, die ihr Studium hinter sich gebracht haben und vor einem größeren Pensum und einem anstrengenderen Semester stehen: dem Leben, dem Beruf, der Mission. Erlauben Sie mir, so freimütig zu sein, zu behaupten, dass wir die Creme der norwegischen Jugend sind. Und wie gesagt, heute Abend wollen wir noch einmal jung sein! Wir sind, wir sind, ja, wir sind der Schwanz im Riesenrad!«
Woher hatte ich das? Fiel es mir einfach so ein? Ja! Unfreiwillig und gnadenlos. Lapsus! Volapük! Direktor Lund stand auf und wollte applaudieren, offenbar, um das Ganze abzukürzen, je schneller, desto besser, was sonst, und zögernd kam auch der Rest des Publikums auf die Beine, mir war sogar so, als könnte ich Alfred in der Türöffnung sehen, mit der Stadt hinter sich, aber das war wohl nur eine Erscheinung.
Da capo!
Ich kam ihnen allen zuvor. So leicht sollten sie mir nicht davonkommen. Der Abend war noch jung. Ich riss die Rede aus der Tasche und fing noch einmal von vorne an, aber der Anfang war ein anderer, so hatte ich ihn nicht in der Erinnerung. Hatte ich zwei Reden? Ja, natürlich hatte ich zwei Reden! Eine auf dem Papier und eine auf dem Herzen.
Ich hob die Stimme.
»Wir sind das Sahnehäubchen auf der Torte! Cum grano salis! Wir sind der Schwanz im Riesenrad! Und audentis fortuna juvat!«
Gerettet, zumindest vorerst, durch das Latein.
Stehende Ovationen.
Ich verließ das Rednerpult und musste mir keinen Weg bahnen. Ich wurde durchgelassen. Dann war ich endlich draußen, holte tief Luft und lehnte die Stirn gegen die erstbeste Säule. Hatte ich das gesagt? Was hatte ich gesagt? Ich konnte mich nicht mehr erinnern, nicht an ein Wort, während ich dastand und mit dem Kopf gegen die Säule schlug, und ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn die ganze Aula zusammengebrochen und über mir und nicht zuletzt den anderen da drinnen eingestürzt wäre. Heute erinnere ich mich besser als damals. Die Zeit spielt mit uns auf eine verdrehte Art. Aber ich will mich nicht zu lange in diesem Elend suhlen, nur in aller Kürze sagen, dass ich plötzlich Stimmen hörte, Frauenstimmen, und Schluchzen. War es meine Schuld, dass jemand weinte? Hatte ich jemanden verletzt? War meine Rede zu viel gewesen? Da kam mir ein Gedanke: War das Alma? Vorsichtig blickte ich hinter der Säule hervor, und dort, auf der untersten Stufe, saßen zwei festlich gekleidete, verschmähte Mädchen oder besser gesagt Damen. Die eine hatte den Arm um die andere gelegt und tröstete die Freundin. Ich riss mich zusammen und ging langsam zu ihnen, mit meinen Requisiten, Taschentuch, Zigaretten und Streichhölzer, das war alles, was ich zur Hand hatte, und was braucht ein Mann mehr? Zumindest wiesen sie mich nicht augenblicklich ab. Die Weinende blieb sitzen. Aber die andere sprang auf und schien bereit, sich selbst und die Freundin mit Haut und Haaren zu verteidigen, was sie übrigens sicherlich geschafft hätte. Sie war vierschrötig, athletisch und mindestens einen Kopf größer als ich. Sie konnte dem Teufel das Fürchten beibringen und mich am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Sie war nicht gerade ein Leckerbissen, wie der Jargon unter den unreifen Studenten lautete, und sie würde wohl kaum zur Miss Oslo gekürt werden, einer Rose, die in Oslos Erde gewachsen ist, wie es in den Statuten
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