Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
Der Duft schlug mir entgegen, schwer und gemächlich, oder war das nur meine neue Frisur? Es war mir egal. Und das, was ich jetzt aufschreibe, ist äußerst peinlich, und ich tue es nicht, um mich besser dastehen zu lassen, als ich bin. Bitte das streichen. Trotz allem haben schon peinlichere Dinge stattgefunden. Wen es betrifft: Streichen Sie das Wort peinlich im gesamten Manuskript, falls der Text publiziert werden soll, und ersetzen Sie es durch sensibel. Ich selbst habe keine Zeit mehr für derartige Hinzufügungen. Ich legte die Lippen an die Blätter, biss in den festen Stiel, oh ja, jetzt war ich bereit, jetzt war ich für alles bereit! Doch dann wurde ich wieder mit Nachdruck auf meinen Platz verwiesen. Warum gratulierte Direktor Lund nicht? War er nicht der Meinung, dass es etwas zu feiern gab? Der Beste seines Jahrgangs! Wie viele können sich das an die Brust heften? Wenige. Nur die Besten. Ich hatte nicht übel Lust, zu ihnen zu laufen und Lund am Schnurrbart zu ziehen. Herzlichen Glückwunsch. Alma. Stattdessen suchte ich eine leere Vase im Wohnzimmer, in der die Orchidee stehen sollte. Ich machte mir nicht die Mühe, ihr Wasser zu geben. Das hätte sie nur breitgetreten. Ich selbst setzte mich ins Arbeitszimmer, neben die Standuhr, und begann meine Rede zu schreiben. Ich hatte nicht eine Sekunde zu verlieren. Ich wollte es ihnen zeigen. Ich schrieb, strich durch, fügte hinzu, zog ab, memorierte, las laut, las leise. Dann wurde ich von Francks Boten im Bogstadveien unterbrochen, der mit dem Frack u.a. kam. Ich vergaß, ihm Trinkgeld zu geben. Ich hatte anderes zu bedenken. Deshalb blieb er stehen und rührte sich nicht, stocksteif mit forderndem Blick. Ich habe es schon früher erwähnt, dass wir, die Kantigen, feste Beträge brauchen, exakte Zeitpunkte und präzise Abstände, zu denen wir uns verhalten können. Wir können nichts dem Zufall überlassen. Ich musste ihm also einen Schein zustecken, damit er mich endlich in Ruhe ließ. Dieser naseweise Laufbursche! Und dann musste ich noch einmal ganz von vorn anfangen. Das, was ich geschrieben hatte, war nicht zu gebrauchen, Müll, jetzt sah ich es ein, Phrasen, Selbstverständlichkeiten, der reine Unsinn. Ich zerriss die Seiten und dankte im Stillen diesem Boten, der mir die Augen geöffnet und mich auf andere Gedanken gebracht hatte. Ich war froh, dass ich ihn so großzügig entlohnt hatte. Schließlich saß ich mit einer halben Seite da, für die ich bürgen konnte, nicht mehr und nicht weniger, von dem, was einmal hundert dichtbeschriebene Folioblätter gewesen waren. Das musste reichen. Man muss wissen, dass es ein anspruchsvolles Handwerk ist, sich so ein Kostüm anzuziehen, ohne Spiegel und ganz allein, fast schon ein Kunststück. Allein die Manschettenknöpfe! Perlmutt! Die Hosenträger! Dann stand ich bereit, mit der Rede in der Innentasche, und wartete, dass der Abend hereinbräche. Ich stand vier Stunden lang aufrecht da. Sollte ich mir ein Gläschen genehmigen? Nein, ich wollte mit dem Saal Aug in Aug dastehen, mit der höchstmöglichen Disziplin in mir. Dann holte Alfred mich ab. Er richtete die Schleife, war aber ansonsten zufrieden, was er mir mit einem Nicken zu verstehen gab. Wir fuhren hinunter zum Universitätsplatz. Die Gäste waren auf dem Weg die breiten Treppen zwischen den Säulen hinauf. Der Abend war hell, wie nur ein Freitag Anfang Juni in Oslo sein kann. Die dunklen Wolken waren wie verdunstet.
»Bist du sicher, dass du nicht mit hineinkommen willst?«, fragte ich.
Alfred schüttelte den Kopf.
»Ich warte hier auf dich. Wenn du es wünschst?«
»Aber natürlich.«
»Hast du an deine Rede gedacht?«
Ich fühlte in der Tasche nach. Dort lag sie. Eine halbe Seite.
»Ja. Alles dabei. Danke.«
»Darf ich so unverschämt sein, und dir einen kleinen Rat geben, Bernhard?«
»Das ist nicht unverschämt, Alfred. Das ist eine Ehre.«
»Halte dich ans Manuskript. Und jetzt geh und sieh zu, dass du es überstehst.«
Ich verließ ihn, ging die breiten Treppen hinauf, ich folgte den anderen, und sie ließen mich vorbei, sie wussten, wer ich war, der Beste meines Jahrgangs, und ich musste den ganzen Weg den Mittelgang hinunter bis zur ersten Reihe gehen, dort war ein Stuhl auf meinen Namen reserviert. Die Fahne der Mediziner hing auf beiden Seiten von Munchs Sonne. Hätte ich nicht lieber ein laudabilis haben können, dann wäre mir das erspart geblieben, was ich jetzt durchstehen musste. Aber ich möchte es nicht in die Länge
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