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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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heißt. Aber ich war ja auch nicht gerade eine Augenweide, also waren wir quitt. Ich reichte ihr das Taschentuch. Ich weiß nicht, woher ich den Mut nahm. Ich hatte nichts mehr zu verlieren. So stand es wohl um die Sache. Sie nahm das Tuch entgegen und gab es weiter an die Freundin, die in das glücklicherweise saubere Taschentuch schnaubte. Ozaena! Oh nein, hier war alles nur eitel Parfüm, Tränen und keine Doktorarbeit. Aus der Aula waren Musik und Fanfaren zu hören. Das Programm näherte sich also seinem Ende.
    »Wollen die Leckerbissen später mit zum Ball kommen?«, fragte ich.
    Die Stehende wurde ärgerlich.
    »Willst du frech werden? Du auch?«
    »Frech werden? Ganz und gar nicht. Im Gegenteil, ich stehe zur Verfügung.«
    Sie lachte, während die Freundin weinte.
    »Ihr seid doch alle gleich, ihr glaubt, ihr könnt machen, was ihr wollt, nur weil ihr ein Examen bestanden habt!«
    Ich zündete mir eine Zigarette an und vergaß, ihr eine anzubieten.
    »Jetzt verstehe ich nicht ganz«, sagte ich.
    »Dann will ich es dir erklären, du Zwerg. Einer der Kandidaten hat Tora eingeladen, und dann stellt sich heraus, dass er bereits verlobt ist, und die Verlobte schon dasitzt und der Platz besetzt ist.«
    Ich musste fragen:
    »Wer? Wir Mediziner tun so etwas nicht. Glaube mir. Niemals.«
    »Er war sogar Vorsitzender der Studentenvereinigung.«
    »Scheiße«, hörte ich unten von der Treppe, also von Tora.
    Das war niederträchtig, ausgekocht und unerhört, und es hätte mich nicht gewundert, wenn es derselbe Kandidat gewesen wäre, der damals den Bescheid auf meinen Platz gelegt und mich so in die Finsternis gestoßen hatte. Seinen Namen möchte ich übrigens hier nicht nennen. Ich bin nicht rachsüchtig. Aber möge der Betreffende, wenn er noch am Leben ist, und das hoffe ich, sich wiedererkennen und lange und schwer gequält werden, und möge es Tora genau gegenteilig ergehen.
    Ich fing an zu trampeln. Ich trampelte vor Wut und ruderte mit den Armen, dass die Zigarette aussah wie ein Feuerwerk.
    »Ja, advocatus diaboli in der Hölle!«
    Dann stand diejenige, die Tora hieß, auch auf, und die, von der ich den Namen immer noch nicht wusste, erkannte mich wieder.
    »Bist du nicht derjenige, der die Rede gehalten hat?«
    Das konnte ich nicht leugnen und nahm an, dass damit das zufällige Treffen beendet war. Jetzt blieben nur noch Hohn, Verachtung und Spott.
    Stattdessen fingen die Mädchen an zu lachen, und ich hatte keine Ahnung, wie ich dieses Gelächter auffassen sollte.
    Da gingen die Türen auf, und das Publikum strömte heraus.
    Die Mädchen lachten nicht mehr. Sie wurden von Panik ergriffen und wollten fort, so schnell wie möglich, fort von hier und um keinen Preis den Verräter noch einmal treffen. Mit anderen Worten: Wir hatten gemeinsame Interessen. Und es verblüffte mich, wie das eine zum anderen führte, in schnellen, unerklärlichen Wendungen und Kniffen und zum Schluss alles an seinen Platz fiel, direkt vor meine Füße, wie ein göttliches Puzzlespiel. Derartiges war ich nicht gewohnt. Die Dinge ergeben sich für uns Kantige nicht von allein. Wir müssen sie erzwingen.
    »Darf ich die Damen wenigstens nach Hause fahren?«
    Das durfte ich auf jeden Fall. Es sprach absolut nichts dagegen. Es schien, als wäre die Vernunft der Kantigen plötzlich auf meiner Seite, obwohl ich doch Gefahr lief, alle Ordnungsregeln auf einmal zu brechen. Sie hielten trotz allem der Prüfung stand. Aber letztendlich taten sie es doch nicht. Alles rächt sich.
    »Folgt mir!«
    Und gemeinsam liefen wir über das Kopfsteinpflaster, und die Mädchen kletterten auf die Rückbank, während ich mich vorn neben Alfred setzte, der nicht weniger verblüfft war als ich. Wenn er nicht verstand, was da eigentlich im Busche war, so wusste er zumindest, was angesagt war: fahren. Alfred fuhr weg von der Aula und am Schlosspark entlang hoch. Tora fing wieder an zu weinen, und das nicht gerade verhalten. Alfred tat, als würde er es gar nicht bemerken. Ich drehte mich um. Toras Freundin hatte einen Flachmann in der Tasche, sie tranken beide daraus und beruhigten so wohl ihre Nerven.
    »Wohin wollt ihr gefahren werden?«, fragte ich.
    Tora wollte nach Hause. Zu Hause war in der Huitfeldtsgate, in einem der stattlichen Wohnblocks dort. Die Freundin brachte sie hinauf. Ich rechnete nicht damit, eine von ihnen je wiederzusehen. Ich hatte mich nur um ein kurzes Glück verdient gemacht, mehr nicht. Meine Rolle als Ritter war hiermit zu Ende. Doch

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