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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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als Alfred wenden wollte, kam Toras Freundin heraus und setzte sich wie selbstverständlich wieder auf den Rücksitz, und da blieb sie sitzen. Alfred verdrehte die Augen, ob über sie oder über mich, das konnte ich nicht sagen. Dann trat er mir gegen den Fuß, und ich beeilte mich, mich nach hinten neben dieses unbekannte, kräftige Mädchen zu setzen. Ich war so etwas nicht gewohnt. Auf diesem Gebiet hatte ich nicht viel Erfahrung. In Almas Wintergarten war es einfacher, möge Gott mir verzeihen und mir den Mund verschließen! Compesce mentem! Du ausgefuchster Gärtner! Dieb des Wintergartens. Ich verspreche, es ist nichts passiert. Ich habe nur ein verdorrtes Blatt gestohlen, sonst nichts.
    »Wo wohnen Sie?«, fragte ich.
    »In Drammen.«
    »Dann nach Drammen!«, rief ich.
    Und Alfred fuhr in die Richtung. Es war ein ganzes Stück von Oslo nach Drammen. Mittlerweile wurde es dunkel. Was sollte ich sagen? Wie gesagt, ich war so etwas nicht gewohnt. Ich musste mich nur an der Kandare halten. Sie redete als Erste.
    »Sigrid Juell«, sagte sie.
    Ich hatte sogar vergessen, mich vorzustellen.
    »Bernhard Hval. Tut mir leid.«
    »Was hast du da eigentlich in deiner Rede gesagt?«
    »Was ich gesagt habe?«
    Sie beugte sich zu mir und flüsterte:
    »Das mit dem Riesenrad. Oder wie das noch hieß.«
    Ich sank auf dem Sitz zusammen und versuchte es wegzulachen.
    »Das ist nur so eine Redewendung unter uns Medizinern.«
    »Sag es noch einmal. Mein Stutenprinz.«
    »Was?«
    »Mach es. Bitte. Mir zuliebe.«
    Ich zog die kleine Gardine vor, die uns, die wir auf dem Rücksitz saßen, abschirmte, und konnte kurz sehen, wie Alfred lächelte.
    »Schwanz im Riesenrad«, sagte ich.
    Mehr sage ich nicht. Es artete aus. Compesce mentem? Weit gefehlt. Ich wurde der Beste meines Jahrgangs. Und Sigrid und ich wurden ein Paar.

WARTEZEIT
    Ich habe kurze Zähne. Im Laufe der Jahre habe ich sie abgeschliffen. Früher hat mich das gestört, und eine Zeitlang habe ich gar nicht mehr gelacht, um nicht diese lächerlichen Stumpen zu entblößen. Übrigens gab es in dieser Zeit sowieso nicht viel zu lachen, deshalb erschien es mir ganz natürlich. Jetzt stört es mich nicht mehr. Ich öffne den Mund, wie es mir gefällt. Es sieht mich ja sowieso niemand. Und das Essen bekomme ich runter, wenn ich es nur erst ordentlich mit der Gabel zerquetsche, besonders die Kartoffeln, die der Ladenschwengel vom Kolonialwarenladen mir jede zweite Woche vor die Tür stellt. Das einzige Aber: Wenn ich die Kiefer zusammenbeiße und knirsche, dann spüre ich nur, wie die weichen Gaumen gegeneinandergedrückt werden, und das Geräusch, das sie machen, lockt mich nicht. Eine Zeitlang hoffte ich, dass neue Zähne durchbrechen würden, die Greisenzähne, damit ich sozusagen wieder von vorne anfangen könnte. Doch das passierte nicht. Ich muss mich mit dem Kiefer begnügen, den ich habe, und es ist ja auch nicht mehr lange hin, bis ich ihn ein für allemal schließe. Doch damals, frisch verheiratet und als Assistenzarzt im Rikshospital angestellt, da hatte ich Zähne auf Deubel komm raus und konnte mit ihnen knirschen, so viel ich wollte. Jeden Morgen nahm ich die Bahn bis zum Nationaltheater und spazierte dann den kurzen Weg bis zur Pilestredet. Direktor Lund sah ich kaum oder nie, und aus den großen Plänen, die er für mich gemacht hatte, wurde auch nicht besonders viel. Ich machte Visite, hörte mir endloses Gejammer an, versorgte einige Liegewunden, maß Temperatur, tröstete fordernde, egoistische Patienten, führte Krankenberichte. Es kam vor, dass ich bei einer Operation assistierte, war ich etwa kein Assistenzarzt, stand als Nummer drei in der Reihe und durfte, wenn es hochkam, eine Wunde verschließen. Mit der Zeit wurde es auch damit immer weniger. War das der Wunsch von Direktor Lund? Waren das die großen Pläne, die er geschmiedet hatte? Meinte er, dass ich so kleinlich war, dass das groß genug für mich wäre? Wollte er mich so kleinmachen? Übrigens widersprach ich nicht. Ich ergab mich in mein Schicksal. Das ist der Fluch der Kantigen. Wir leiden ständig an schlechtem Gewissen, unaufhörlich, es sitzt uns wie Hämorrhoiden in der Seele, und deshalb nehmen wir alle Schuld auf uns. Wir haben es verdient. Und nicht nur das: Wir haben es uns verdient. Wir möchten allen gefallen. Aber wenn ich allein war, dann schlug ich auf den Tisch, trampelte auf den Boden, und legte die Dinge klar und deutlich dar. Ich, Bernhard Hval, der Beste seines Jahrgangs, das

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