Die Uno
noch greifen, deren besonderes Merkmal die Ungleichartigkeit der daran beteiligten staatlichen und privaten Akteure ist.
Im Juni 1992 legte Boutros-Ghali die «Agenda für den Frieden» vor, mit der die Vereinten Nationen wieder zum zentralen Ort der internationalen Sicherheitspolitik werden sollten. Im Einzelnen wurden darin vier Maßnahmenkomplexe beschrieben:
(1) Maßnahmen der
vorbeugenden Diplomatie
sollten bereits das Entstehen von Streitigkeiten verhüten. Neben der Etablierung von Frühwarnsystemen und der Entsendung von Missionen zur Tatsachenermittlung sollten dazu auch vorbeugende Truppeneinsätze gehören, um mit Zustimmung der betreffendenRegierung oder aller Parteien im Vorfeld einer Krise Feindseligkeiten unterbinden oder humanitäre Hilfe leisten zu können.
(2) Maßnahmen zur
Friedensschaffung
(
peace-making
) sollten nach Ausbruch eines Konflikts eine Einigung zwischen den Konfliktparteien herbeiführen, etwa indem diese zum Abschluss eines Waffenstillstands- oder Friedensabkommens bewegt werden.
In diesem Zusammenhang rief Boutros-Ghali Artikel 43 der Charta in Erinnerung, demzufolge die Mitgliedstaaten dem Generalsekretär ständig bereitstehende Streitkräfte vertraglich zur Verfügung stellen sollten. Allerdings hielt auch Boutros-Ghali die Aktivierung dieser Chartabestimmung für nicht sehr wahrscheinlich und schlug stattdessen die freiwillige Bereitstellung von schnellen Eingreiftruppen vor, die auf Beschluss des Sicherheitsrats und unter dem Kommando des Generalsekretärs auf Abruf zur Friedensdurchsetzung (
peace-enforcement
) eingesetzt werden könnten. Diese sollten schwerer bewaffnet sein und ausdrücklich über das
peace-keeping
hinausgehende Aufgaben wahrnehmen. Aber auch dieser Vorschlag zielte noch immer auf eine deutliche Stärkung der Rolle des Generalsekretärs ab, denn bis zu diesem Zeitpunkthatte der Sicherheitsrat, wie bei seiner Reaktion auf die Invasion Kuwaits durch den Irak im Jahr 1990, allenfalls Kriegskoalitionen ermächtigt, militärische Zwangsmaßnahmen zu ergreifen.
(3) Die zur
Friedenssicherung
(
peace-keeping
) vorgeschlagenen Maßnahmen bewegten sich dagegen wieder im konventionellen Bereich der bisherigen, auf der Zustimmung der Konfliktparteien beruhenden Praxis der Entsendung von Blauhelmen. Militär- und Polizeikräfte sowie ziviles Personal sollten eingesetzt werden, um die Einhaltung von Waffenstillstands- oder Friedensabkommen zu überwachen und damit die Voraussetzungen für politische Lösungen zu schaffen.
(4) Den letzten Bereich bildeten die
friedenskonsolidierenden
Maßnahmen (
post-conflict-peace-building
). Damit waren Bemühungen um Entmilitarisierung und um die Wiederherstellung funktionierender staatlicher Ordnungsstrukturen gemeint.Audi die Durchführung von Wahlen in der Konfliktfolgezeit wurde genannt.
Im Rückblick muss Boutros-Ghalis ambitionierter Versuch als gescheitert betrachtet werden, mit der «Agenda für den Frieden» die Weichen für eine substanzielle Aufwertung der Rolle der Vereinten Nationen – und vor allem ihres Generalsekretärs – in der internationalen Sicherheitspolitik zu stellen. Vor allem weckte die Agenda die Befürchtung, er strebe autonome Militärkapazitäten unter dem Kommando des Generalsekretärs zum Zweck des
peace-enforcement
an.
Am Ende seiner ersten Amtszeit war Boutros-Ghali bei der amerikanischen Clinton-Regierung so sehr in Ungnade gefallen, dass diese ihr Veto im Sicherheitsrat einlegte, um eine zweite Amtszeit des zu sehr auf die Unabhängigkeit der Vereinten Nationen bedachten Generalsekretärs zu verhindern. Dieser unglückliche Verlauf der Amtszeit Boutros-Ghalis entbehrte nicht einer gewissen Ironie: Hatte doch auch dieser Generalsekretär unter politischem und finanziellem Druck durchaus den Kurs seines Vorgängers fortgesetzt, die Vereinten Nationen für die Status quo-Mächte wieder attraktiver zu machen.
5. Private Akteure
ante portas
Mit der weltpolitischen Bedeutungslosigkeit der Entwicklungsländer, dem Siegeszug des wirtschaftspolitischen Neoliberalismus und des westlich liberalen Demokratiemodells waren allerdings die Gegensätze in den internationalen Beziehungen keineswegs von der Bildfläche verschwunden. Die Entwicklungsproblematik nahm im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung eher an Schärfe zu. Der Widerstand gegen deren soziale und ökologische Folgen kam im Unterschied zu den siebziger Jahren jedoch nicht mehr primär von den Regierungen der Entwicklungs- und
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