Die Unschuld der Rose
er ausschließlich an Frauen gewöhnt, für die Shopping der einzige Lebensinhalt darstellte.
Grace entschied sich, das Gespräch geschäftsmäßig zu halten. „Sie haben mir gesagt, ich soll mich für einen Ausflug in den Dschungel anziehen. Wann trifft der Hubschrauber ein?“
„Wir fliegen nicht mit dem Hubschrauber, Grace.“ Seine Stimme klang glatt und seidig. „Wir laufen. Ich hoffe, Ihre Schuhe sehen nicht nur gut aus, denn ihnen steht ein harter Test bevor.“
Sollte ihr das etwa Angst machen? Beinahe hätte sie gelacht. Was er nicht wusste, war, dass sie schon ihr ganzes Leben lang Prüfungen ausgesetzt war. Warum, wunderte sie sich, erwartet eigentlich jeder, dass ich scheitere? Insgeheim nahm sie sich vor, dass ihr keine einzige Beschwerde über ihre Lippen kommen würde. Auf keinen Fall würde er sie jammern hören. „Schön. Testen Sie, so viel Sie wollen. Wenn Sie darauf aus sind, mich zusammenbrechen zu sehen, müssen Sie lange warten.“
„Gut, ich habe nämlich keine Lust, Sie vom Boden des Regenwalds zu kratzen oder aus der Umarmung einer Anakonda zu befreien.“
„Was ist eigentlich Ihr Problem?“ Aufrichtig bestürzt sah sie ihn an. „Sie wollen, dass ich versage, oder? Sie wollen, dass ich mich zum Idioten mache. Warum? Nur weil meine Firma Ihnen nicht genug Geld einbringt? Ist das denn wirklich so wichtig?“
Einen Moment musterte er sie, dann beugte er sich vor und hob zwei Rucksäcke vom Boden auf. „Die Wanderung dauert zwei Stunden, vorausgesetzt, der Regen macht den Pfad nicht unpassierbar.“ Er drückte ihr einen der Rucksäcke in die Hände. „Auf geht’s. Wir frühstücken unterwegs.“
3. KAPITEL
Der Regen fiel stetig, während Rafael den Pfad entlangstapfte. Hin und wieder warf er einen Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass Grace noch hinter ihm war. Ein zögerliches Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, als er die blonden nassen Haare sah, die ihr jetzt an den Wangen klebten. Das Wasser verlieh dem hellen Sommerblond den Farbton alten Goldes. Auch ihre Kleider waren durchnässt und enthüllten jede Kontur ihres schlanken Körpers.
Schlank, aber mit Kurven an allen richtigen Stellen.
Ich hätte sie vor mir laufen lassen sollen, dachte er versonnen, dann hätte ich die Aussicht bewundern können.
Stattdessen war sie diejenige, die ihn beobachtete. Ab und zu fing er einen neugierigen Blick auf. Stumm schien sie zu fragen, was er mit ihr im Sinn hatte. Als hätte sie keine Ahnung! Er empfand diese offenen und abschätzenden Blicke als in höchstem Maße ärgerlich.
Und da war noch ein anderes Gefühl. Etwas weit Mächtigeres als Neugier oder Verärgerung.
Chemie. Elektrizität. Ein Prickeln, das durch die Luft flirrte und seinen Körper zu heftigen Reaktionen reizte, die Rafael nur als erotisch beschreiben konnte.
Ein weiterer Beweis, dass körperliche Anziehung nicht nach dem Charakter der Frau fragte – eine Tatsache, die er vor langer Zeit gelernt hatte.
Kopfschüttelnd setzte er sich wieder in Bewegung. Die An strengung würde die Reaktionen seines Körpers bald dämpfen … hoffte er.
Immerhin jammerte sie nicht. Bislang hatte er keine Klagen über Blasen, einen abgebrochenen Nagel, nasse Haare oder Insektenstiche gehört. Er hatte erwartet, dass sie inzwischen wenigstens Anzeichen von Erschöpfung zeigte. Aber Grace marschierte einfach weiter. Und bei den wenigen Malen, die sie auf dem schlammigen Pfad ausrutschte, verlor sie nicht das Gleichgewicht. Sie hatte ihm nur finstere Blicke zugeworfen, die ihn davor warnten, seine Hilfe anzubieten.
Selbst als sie bei der Überquerung eines Flusses auf einem der glatten Steine ausgeglitten und ins Wasser gefallen war, hatte sie nichts gesagt. Stattdessen war sie einfach ans andere Ufer geschwommen.
Aus dem Augenwinkel sah er, wie sie sich gerade mit einer ungeduldigen Handbewegung ein Insekt von der Schulter wischte. Ob ihr resolutes Auftreten tiefere Gründe hatte? Es konnte nicht nur eine Trotzreaktion auf seinen Kommentar über ihre Schuhe sein.
Was versuchte sie zu beweisen? Und wem?
Er wusste doch bereits alles über sie, was er zu wissen brauchte.
Alles wies darauf hin, dass sie eine Lügnerin und Betrügerin war.
Also weshalb drehte er sich immer wieder nach ihr um?
Warum war er sich ihrer Gegenwart so überaus bewusst?
Sie war schmutzig und durchnässt, trotzdem ging sie weiter. Wenn sie manchmal stehen blieb und in den Dschungel schaute, schimmerte keine Angst in ihren
Weitere Kostenlose Bücher