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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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auf rustikal getrimmte Bett. Die hochmoderne Küche, die ein friesisch blauweiß gekachelter Traum ist, wenn man denn fürs Kochen etwas übrig hat. Das Badezimmer mit seiner Wanne, die geradezu danach schreit, mit heißem Wasser und knisterndem Schaum gefüllt und von einem unterkühlten Einkehrer geentert zu werden. Das ganze Haus, es liegt im tiefsten Dornröschenschlaf da, nur glücklicherweise eben ohne Dornröschen. Es wartet darauf, endlich wieder wachgeküsst zu werden, und genau das will ich jetzt tun.
    Ich nehme von Klaus’ Ferienhaus Besitz, ich ziehe darin ein wie in einem Triumphzug. Gleich links neben der Tür, auf einem Regal, dessen unterer Teil ein Schlüsselbrett ist, steht die kleine Taschenlampe, die ich ergreife, um mir mit ihr den gleich daneben hängenden Sicherungskasten zu erleuchten, während ich die Sicherungen wieder reindrehe. Danach erst schalte ich den Strom ein und gehe einmal ganz durchs Haus und mache in jedem Raum Licht an. Zugleich drehe ich die Heizungen überall auf und ziehe die Jalousien hoch, was ziemlich müßig ist, da draußen eh längst der dunkle Herbstabend herrscht, und obwohl ich den Gedanken, nun von draußen gesehen werden zu können, eigentlich gar nicht mag. Aber ich will zeigen, dass ich hier bin und das Haus rechtmäßig mit Beschlag belege. Ich ziehe die lakenähnlichen Überzieher von Couch, Sesseln und Stühlen. Ich räume sie gar nicht erst weg, sondern pfeffere sie einfach nur in die nächste Ecke. Erst jetzt, nachdem das alles geschehen ist, ziehe ich Jacke und Schuhe aus und bringe meine Reisetasche ins Schlafzimmer, wo ich auch gleich noch das Bett beziehe. Schlussendlich gehe ich in die Küche, um mir einen Becher heißen Beuteltee zu kochen, eine Friesenmischung natürlich, auch wenn ich auf Kandis und Sahne verzichten muss. Während er zieht und auf eine trinkbare Temperatur abkühlt, schaue ich in den Schränken nach, was alles an Vorräten da ist und was ich gleich noch einkaufen muss, es sei denn, ich entscheide mich dazu, auch das Frühstück auswärts einzunehmen. Eine Liste mache ich mir natürlich nicht, dafür ist es mir nicht wichtig genug – wirklich kaufen muss ich sowieso nur eine Zahnbürste. Und dann endlich stehe ich mit dem wärmenden Becher in Händen da und übersehe mein lichtüberstrahltes Reich und sehe, dass es schön ist, gut. Hier kann ich bleiben, hier werde ich es aushalten können, hier bin ich sicher. Wenn es einen Ort auf der Welt gibt, an dem ich in meinem Zustand Ruhe finden kann, dann hier. Es ist richtig, hergekommen zu sein.
    Aber es ist auch sehr, sehr still hier. Noch immer tickt keine Uhr, macht der Kühlschrank kaum Geräusche, ist keine vertraute Stimme aus einem der anderen Räume zu vernehmen. Jetzt, da ich angekommen bin und nichts mehr zu tun habe, fällt mir das erst so richtig auf. Hier sitze ich also auf einem selten genutzten Sofa, habe nicht einmal mehr Tee zum Trinken im Becher und starre die Wand an, weil ich überhaupt nichts mit mir alleine anzufangen weiß, weil ich noch nie etwas mit mir alleine anzufangen wusste. Vom Malen einmal abgesehen. Aber dabei bin ich auch nicht allein, sondern bei meinen Bildern. Nur, Malen ist hier keine Option. Also sitze ich bloß da, drehe Däumchen, und je länger ich so sitze, desto stärker sehne ich mich nach Gesellschaft. Als Kind habe ich in solchen Situationen begonnen, meine Geschwister und Eltern zu belästigen, ihnen auf den Geist zu gehen und, wollten sie nicht mit mir spielen und mir ihre volle Aufmerksamkeit schenken, sie zu ärgern. Als Erwachsener habe ich mir angewöhnt, loszuziehen und nach Sex zu suchen. Den ich auch prompt finde. Den und manchmal sogar einen Typen, den ich so sympathisch finde, dass ich ihn wiedersehen, dass ich, während ich ihn meinen Körper erobern lasse, mir vornehme, sein Herz zu erobern. Was mir meistens mit Leichtigkeit gelingt. Daran schließt sich dann die Phase des eitlen Sonnenscheins an, in der die Liebe schon frühe Keimlinge austreiben mag, aber trotzdem in erster Linie nur körperliches Begehren ist, so hemmungs- wie schamlos, und großen Spaß macht. Man muss nicht viel miteinander reden, erklären sowieso nichts, sondern einfach nur miteinander schlafen, das reicht voll und ganz als Liebesbeweis aus. Alle anderen Bedürfnisse, die die Liebe so mit sich bringt, stehen in dieser Phase gerne noch zurück. Aber sie sind natürlich ebenfalls von Anfang an da und sie werden mit jedem Tag stärker. Und irgendwann, meist

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