Die unsicherste aller Tageszeiten
besteht vorwiegend aus stämmigen Friesenfrauen, in deren Ahnenlinie vor nicht allzu langer Zeit einmal ein Haflingerpferd eingekreuzt worden sein muss. Um mich herum sitzen die versammelten Schrecken der Heterosexualität, und das ist die Wahrheit. Und sosehr ich genau das ja eigentlich auch gewollt habe, das Ernüchternde, Deprimierende, Lustverjagende, das davon ausgeht, so schrecklich ernüchtert, deprimiert und lustlos fühle ich mich jetzt eben auch. Das kann man sich nicht einmal mehr schön saufen, die Flasche Weißwein jedenfalls, die ich zum Essen bestellt habe, verpufft ohne jede Wirkung in meinem Kopf. Mir wird nur duselig hinter der Stirn, und die Augen trüben sich ein, als sei der edle Tropfen von der Mosel mal wieder mit etwas Glykol gestreckt worden oder so.
Auf wackeligen Knien stakse ich aus dem Restaurant. Erst draußen ziehe ich mir meine Jacke richtig an und atme tief durch. Die Kälte tut gut, auch wenn sie sofort feucht durch alle Lagen Stoff bis auf die Haut durchsickert und ich friere. Ein regelrechter Anfall von Schüttelfrost geht durch mich durch, bringt meine Zähne zum Klappern, zwischen denen noch Fetzen vom Thunfisch hängen. Während ich sie mit Zunge und Fingernägeln zu reinigen versuche, denke ich nach, was ich als Nächstes tun soll.
Nach Hause will ich noch nicht, dort würde die immer näher heranrückende Einsamkeit in der Nacht selbst jetzt schon beinahe unerträglich sein. Ich darf erst nach Hause gehen, wenn ich wirklich, wirklich müde bin und sich die Gefahr der Schlaflosigkeit auf ein Minimum reduziert hat. Davon aber bin ich noch weit entfernt, woran weder die letzte kurze Nacht noch die viele frische Seeluft bisher etwas ändern können. Außerdem liegt mir der blöde Fisch im Magen, zumindest die Teile des etwas trockenen Steaks, die es bis dorthin geschafft haben. Ich hätte noch einen Schnaps zur Verdauung trinken sollen.
»Mach doch einen Verdauungsspaziergang«, schlage ich mir deshalb so laut vor, dass meine Stimme einmal quer über den leeren Platz schallt, als wolle sie so einen möglichen Begleiter herbeirufen. »Mit Klaus hast du das früher auch immer gemacht.«
Richtige Nachtwanderungen waren das teilweise, von denen wir erschöpft, aber glücklich ins warme Bett zurückkehrten.
»Oder du rufst ihn an und telefonierst einfach nur mal wieder mit ihm«, halte ich leiser dagegen. »Er freut sich bestimmt darüber.«
Ich schaue mich nach einer Telefonzelle um.
»Ach, der ist bestimmt unterwegs«, antworte ich mir selbst, nachdem ich keine Telefonzelle habe entdecken können. Ich zucke resignierend mit den Schultern.
»Also doch ein Spaziergang.«
Und ich gehe nicht, sondern marschiere los, als würde ich im nahen Dänemark einfallen wollen.
Die Idee mit dem Anruf bei Klaus ist dann auch schnell wieder vergessen, obwohl ich an mehreren öffentlichen Münzfernsprechern vorbeikomme und an manchen sogar gleich mehrmals. Alte Gewohnheiten sind eben nur schwer abzustreifen, ganz besonders für mich, der ich nur allzu bereitwillig meiner eigenen, über die Jahre immer tiefer ins System eingedrungenen, ja fast schon selbst zum System gewordenen Programmierung folge. Als hätte ich mit dem ersten Schritt auf Autopilot geschaltet, merke ich schnell, dass ich eben nicht einfach nur spazieren gehe, sondern mich in meinem altbekannten Suchmodus befinde. Ich suche nach einem Mann. Ich streife durch die Straßen und über die Plätze Wyks auf der Suche nach einer anonymen Begegnung, nach zwei starken Armen, die mich halten und durch die Dunkelheit geleiten, und sei es nur für ein kurzes Stück des Weges. Ich kann einfach nicht anders, und inzwischen fühle ich mich so wund und erschöpft, so ausgelaugt von den letzten Stunden, Wochen, Monaten und Jahren, dass ich es auch gar nicht mehr anders will.
Nur finde ich keinen Mann, so hartnäckig ich auch suche, und das reibt Salz in die Wunde, sosehr ich mich über diesen Umstand freuen möchte. Ich laufe mehrmals am Hafen auf und ab und durch die angrenzenden Straßen, halte mich immer eben im Dunstkreis der Straßenlampen, um zwar mehr zu sein als ein Schatten, aber eben auch weniger als ein richtiger Mensch, nur eine Gestalt, eine Projektionsfläche. Nach etwas anderem suche ich ja auch nicht. Und trotzdem finde ich nichts. Ich tue so, als würde ich den Sandwall, so etwas wie Wyks Haupteinkaufsmeile, auf und ab flanieren, dann geht es noch einmal zum Hafen, der jetzt, nach Abfahrt der letzten Fähre des Tages,
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