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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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arbeitete wie im Rausch und das vornehmlich vom Nachmittag bis tief in die Nacht. Wie in der guten alten Zeit, als ich meine ›torture porn origins‹-Serie malte. Nur an den Wochenenden gönnte ich mir eine hochverdiente Pause, die ich dann auch bereitwillig mit Hannes teilte. Denn wie immer bei solchen Geschichten lief bei mir in dieser Zeit nichts nebenher, ich war ihm treu wie ein Eheweib ihrem Ehemann und Ernährer. »… und vorher bist du in der Schule; und es ist wichtig, dass du da ausgeruht bist.«
    Dann kam wieder eins dieser nackt in der Kiste verbrachten Wochenenden, und ich merkte gleich zu Beginn, dass Hannes etwas auf dem Herzen hatte. Ob ich ahnte, dass mir das, was immer es auch sein mochte, nicht gefallen würde, möchte ich gar nicht mal behaupten, ich wollte es vielmehr erst gar nicht wissen. Ich befürchtete ganz einfach unnötige Komplikationen. Bis zum Sonntag konnte ich ihn hinhalten, ich musste nur mit dem Schwanz wedeln, und schon kam er willig angehechelt. Am Nachmittag aber lagen wir, ich in seinem Armen, in meiner Badewanne, erschöpft und entspannt, hörten dem Regen zu, der gerade eingesetzt hatte und gleichmäßig gegen das Oberlicht prasselte, sprachen nichts, sondern genossen lediglich der eine die Nähe des anderen. Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre es auch dabei geblieben.
    Ich war am Wegdösen, als ich plötzlich von hinten meinen Namen gewispert hörte, einmal, zweimal, dreimal, und Hannes sagte: »Ich habe eine ganz verrückte Idee.«
    Ich wollte nicht reagieren, wollte nicht wissen, was für eine verrückte Idee er hatte, aber er wiederholte seine Aussage noch einmal und insistierte, indem er mir mit seinen langen, starken Fingern auf die Rippen klopfte.
    »Aha. Und welche?«
    »Ich würde es toll finden, wenn du mich malen würdest.«
    »Was?« Ich drehte mich erschrocken um, dass das Wasser nur so über den Rand der Wanne schwappte.
    Wenn Hannes hätte zurückweichen können, er hätte es reflexartig getan. Sein ganzer Körper stand plötzlich ob der unvermutet abrupten Drehung meinerseits und dem stechenden Blick aus meinen Augen unter Spannung. Er nahm eine Abwehrhaltung ein und versuchte sogleich zu beschwichtigen, als wäre gar nichts gewesen.
    »Nichts. Ich mein ja nur. Ich fänd’s nur eben toll, von dir gemalt zu werden«, stammelte er wie ein stotterndes Maschinengewehr. »Aber wenn du nicht willst …«
    »Das ist es nicht«, antwortete ich und versuchte ebenfalls, Ruhe in meine Stimme und Gestik zu bringen. »Es ist nur so, dass ich normalerweise keine Personen male, die mit mir bekannt oder verwandt sind. Das Privatleben in meinen Bildern ist tabu.«
    »Schade …»
    «Und überhaupt, die Pose, in der du dann von mir dargestellt werden würdest, wäre doch grässlich, alles andere als schmeichelhaft. Du wärest entweder Opfer nackter Gewalt oder Täter oder sogar beides gleichzeitig.«
    »Damit hätte ich kein Problem.«
    »Und am Ende würde ich dir auch noch das Gesicht oder die Genitalien abschneiden.«
    »Na, dann lieber das Gesicht«, kicherte er.
    »Ach, wirklich?«
    Auch ich entspannte mich wieder, wir steuerten bereits auf die Versöhnung, unseren ersten Versöhnungssex, zu.
    »Ja, wirklich.«
    »Okay, ich werd’s mir überlegen.«
    Ich dachte, damit wäre das Thema erst einmal ausgestanden, aber bevor er mich an dem Abend verließ, kam er doch noch einmal darauf zurück.
    »Außerdem könnten wir dann mehr Zeit miteinander verbringen, wenn du mich malst. Das wäre doch praktisch«, meinte er, »Arbeit und Vergnügen in einem.«
    Einen Moment lang fand ich den Vorschlag verlockend. In dieser noch immer unbetitelten neuen Serie nämlich hatte ich längst damit begonnen, die Konterfeis und Körper verflossener Liebhaber in die Szenerien einzubauen. Das tat ich sogar guten Gewissens, weil ich anschließend ja, sobald ein Gemälde fertig war, zu einem an einem Zirkel angebrachten Messer griff und es verstümmelte, indem ich das Gesicht wieder herausschnitt. Michael, Robert, Mario, Theo und Markus hatte ich auf die Art schon verwurstet, Thomas, den alten Banausen, sogar gleich dreimal. Niemand würde mir jemals beweisen können, dass die Figuren auf diesen Gemälden real existierende Personen darstellten, so schrecklich unkenntlich gemacht, wie das letzten Endes der Fall war, und außerdem hob ich die herausgeschnittenen Stücke Leinwand nicht auf, sondern verbrannte sie noch an Ort und Stelle in einem feuerfesten Mülleimer.
    Warum also nicht auch

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