Die unsicherste aller Tageszeiten
gefroren, das Eis aber ist so weit geschmolzen, dass das braune Zuckergesöff total verwässert ist, und so geht auch dieses Zeug den Weg allen Fast-Food-Mülls: Ich lasse den Rest einfach fallen. Es klirrt matschig und feucht und erbricht auch ein paar hellbraune Eisklümpchen, und ich kicke den Schweinkram lässig ins nächste Gleisbett. Hinter mir meint eine Frau, einen empörten Fischlaut von sich geben und mich ein Schwein nennen zu müssen, doch ich drehe mich nicht einmal um, um ihr zu sagen, sie solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, oder ihr meinen Mittelfinger zu zeigen, obwohl ich kurz mit dem Gedanken spiele, sondern gehe einfach unablässig weiter.
Doch wenigstens kleine Sünden bestraft der liebe Herrgott tatsächlich sofort, und so bekomme ich sehr schnell sehr heftige Bauchschmerzen. Magen und Gedärm ziehen sich plötzlich und mit einer Heftigkeit zusammen, dass ich mich beinahe vor aller Augen vor Schmerzen gekrümmt und geschrien hätte. Ein heißes Gefühl durchströmt mich von oben bis unten, als sei mein gesamtes Inneres zu Erz und Schlacke zerschmolzen, als sei ich plötzlich ein Hochofen kurz vor dem Anstich. Etwas drängt mit aller Macht aus mir heraus, nur kann ich absolut nicht einschätzen, welchen Weg das Übel nehmen wird. Ich weiß nur, ich muss eiligst die nächste Toilette aufsuchen, bevor dieses Mal wirklich etwas Widerliches und zutiefst Peinliches passiert. Ich renne also los, eine Hand vor den Mund gepresst, der plötzlich randvoll mit ranzigem Fett zu sein scheint, und eine über meinen Eingeweiden, die schmerzen, als würde jemand mit einem Messer darin herumfuhrwerken. Eine dritte Hand hätte ich eigentlich noch vor meinen Arsch halten müssen, der ja eh längst glüht wie ein altes Kanonenrohr mitten in der Schlacht.
Ich erreiche die Bahnhofstoilette, fummle mit Müh und Not fünfzig Cent aus meinem Portemonnaie und fluchend in den Münzschlitz, um überhaupt eingelassen zu werden, und stürze sofort in eine der Kabinen, verriegle die Tür, zerre mir die Reisetasche, die auf einmal riesig und klobig und zentnerschwer ist, vom Rücken und die Hose vom Hintern. In höchster Anspannung setze ich mich hin, allerdings darauf gefasst, jeden Moment aufspringen und mich umdrehen zu müssen, sollte ich doch kotzen und nicht scheißen müssen. Doch dann passiert nichts, nur das Gefühl der Übelkeit wird noch für eine gewisse Zeit heftiger, ich fühle mich innerlich verfärben, die warme, gesunde Rosigkeit meines Organismus vergammelt zu einem verdorbenen Petrol, und ich überlege schon, ob ich mir nicht einfach einen Finger in den Hals stecken sollte, um zumindest dem unerträglichen Aufstauen dieses Brechreizes ein Ende zu bereiten. Da ist es plötzlich vorbei. Die Verkrampfung löst sich, der Druck lässt nach, das Gefühl, dass die Kehle bis hoch zum Gaumenzäpfchen voll mit ätzender Kotze sei, legt sich.
»Oh scheiße«, murmle ich mit zittriger Stimme und stammle ein Stoßgebet zu allen für das Körperliche zuständigen Göttern, während ich auf der Kloschüssel erschöpft zusammensacke und meine überhitzte Stirn an die kühle Plastikwand der Kabine lehne. So verharre ich ein paar geschlagene Minuten, reibe mir nur hin und wieder erleichtert den Bauch, in dem sich das blöde Fast Food zu einem Felsbrocken verklumpt hat, und tue ansonsten nichts. Ich sehne mich nach meinem Bett, nach einem Ort der Wärme und Geborgenheit, nach zwei starken männlichen Armen, die mich halten. Wieder einmal träume ich anflugweise davon, zu Klaus zurückzukriechen, obwohl ich ja ganz genau weiß, dass das nicht möglich ist, oder davon, ich sei wieder ein Kind und mein Vater komme, um mich aus der Bredouille zu erretten. Aber das ist ja noch illusorischer als das andere. Also ist es das Beste, ich bleibe hier einfach noch ein Weilchen ganz für mich alleine sitzen, durch die Wände um mich herum sorgsam vor den Blicken anderer und meinem eigenen verzweifelt begehrlichen Blick auf andere geschützt, bis ich mich beruhigt habe und weitergehen kann. Ich höre sie ja um mich herum, die anderen Männer, und es ist ein leichtes, den einen oder anderen zu einem Akt des Mitleids und einer Handlung der Nächstenliebe zu bringen. Das ist es immer.
Mir wird kalt, ich muss mich langsam aufrappeln, um mir nicht noch eine Erkältung zu holen. Ich pinkle noch kurz, dann zieh ich mir die Klamotten zurecht, stülpe mir den Gurt meiner Tasche über und verlasse die Kabine.
Am Waschbecken neben
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