Die unsicherste aller Tageszeiten
typischen Sprüche ertönen ließ, anstatt so etwas wie Herzlichkeit oder gar Rührung zu bekunden, und mit denen ich bis heute nicht zurechtkomme.
»Ein Geschenk also?«, sagte er und sah mich an wie die Spottdrossel mit einem fetten Wurm im Schnabel. »Dann darf ich es also nicht verkaufen?«
»Nein«, giftete ich zurück. »Erst wenn du tot bist und in der Erde verrottest, dürfen deine kunstbanausigen Erben es für einen Appel und ein Ei verhökern.«
Ich habe genug gesehen, mein Herz wummert schon wieder in ungesunder Lautstärke. Jetzt gehe ich doch über die Straße zur Binnenalster hinüber. Ich schaue mir das Spiel der Fontäne an und die vielen kleinen Wellen, die an die Beckenmauer schlagen und auf denen sich das trübe Tageslicht kaum bricht. Es riecht etwas brackig und der Lärm von Menschen und Autos stört die künstliche Idylle ebenfalls, dennoch atme ich langsam tief ein und aus. Warum regen mich die charakterlichen Unzulänglichkeiten meiner Mitmenschen immer derart auf? Warum erzürnen sie mich immer wieder so sehr, obwohl ich eigentlich genau weiß, dass ich da auch nicht besser bin? Mein Hiersein beweist es ja mehr als genug. Ich bin nicht besser als alle anderen, nur erfolgreicher. Das aber phänomenal. Epochal!
Ich und Du
bildet, ohne selbst schon dazuzugehören, den Auftakt zu einer ganzen Serie von Arbeiten, großformatigen Ölbildern, die alle in brutalster Schärfe Gewalthandlungen vorwiegend zwischen nackten Männern zeigen, die umso lustvoller zu reagieren scheinen, je grotesker, überzogener, absurder die Gewalt ist, die sie sich gegenseitig zufügen – »Ein malender Marquis de Sade!«,
New York Times
. Das nämlich ist die Entwicklung, die diese ganze Serie kennzeichnet, ihr hervorstechendstes Merkmal: Die Grenze zwischen Täter und Opfer, aktiv und passiv, verwischt immer stärker, bis schließlich jede Figur grundsätzlich beides zugleich ist.
»Das ist eine so unglaublich starke und wahrhaftige Allegorie auf unser menschliches Leben, diese beständige Irreführung, bis wir gar nicht mehr glauben wollen, was wir da sehen: dieses neckische Zuhalten der Augen, das sich als Herausdrücken der Augen entpuppt; die Gruppenumarmung, die wohl eher ein Erdrücken und Ersticken ist; der flüsternde Mund am Ohr, der es in Wahrheit auffrisst; der Kuss, der ein gegenseitiges Beißen ist; das Masturbieren eines Penis, der dann aber schwarzes Blut verspritzt; alle diese absterbenden Körper, für die es keine Hoffnung mehr gibt; der Gevatter Tod, der, ist er männlich, als gut aussehende Graue Eminenz im Hintergrund so vieler dieser Bilder steht, oder, ist er weiblich, als eine Art böse Zwillingsschwester von Brechts Mutter Courage erscheint, eben ohne jede Courage«, schwafelte und schleimte mich einmal die Redakteurin einer Kulturzeitschrift in einem Interview von oben bis unten voll.
»Es ist so allgemeingültig. Und dennoch drängt sich einem instinktiv die Frage auf: Wie viel echte Gewalt steckt in Ihren Bildern? Wie viel davon entspringt Ihrer Autobiografie?«
»Alles«, antwortete ich der dummen Pute und verließ den Raum – aus dem ejakulierenden Penis kommt kein schwarzes Blut, sondern vergiftetes Sperma.
Es ist mir wirklich scheißegal, wie die Leute meine Bilder deuten wollen, solange sie mich nicht mit dem Unsinn behelligen, den sie sich ausdenken. Was mir dagegen schmeichelt, sehr sogar, das bekenne ich hiermit frank und frei, ist die Reaktion anderer Künstler aus anderen Kunstgattungen darauf. Denn meine Bilder haben eine Wirkung gezeitigt, die ich niemals erwartet hätte, eine kreative Fruchtbarkeit entwickelt, wie ich es mir in meinen kühnsten Träumen nicht hätte wünschen können. Als Maler stehe ich, trotz meiner ganz eigenen Definition des Stoffs, in einer gewissen Tradition, die weit zurückreicht und auch in der Gegenwart einige verschiedene Ausprägungen kennt. In der Malerei bin ich kein Solitär, nur eben ein besonders hervorstechender Vertreter. Anders dagegen sieht es mit meinem Einfluss auf Regisseure und Drehbuchschreiber allen voran in den USA aus, die plötzlich, nachdem sie meine Bilder gesehen hatten, anfingen, Filme zu drehen, in denen es einzig und allein darum geht, Menschen auf möglichst krasse Art und Weise zu massakrieren, und sich dabei namentlich auf mich beriefen. Filme, unglaublich erfolgreich an den Kinokassen und im DVD-Vertrieb. Filme, die einen irritierenden Nerv bei den Zuschauern treffen, ein bizarres Bedürfnis danach, sich aus
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