Die unsicherste aller Tageszeiten
diesem Saft des Lebens alles von seiner erstickenden Piefigkeit reinzuwaschen und diesem Ort die bösen Geister der unterdrückten körperlichen Freuden auszutreiben. Jubelnd und mit Anlauf sprang ich aufs Bett, ließ es quietschen und krachen und winkte Karsten zu mir.
»Komm!«
Aber Karsten kam nicht. Bleich wie ein Kreidefelsen stand er im Zwielicht der Schwelle zu dieser düsteren Totholzfantasie von einer Zimmereinrichtung, hatte die Arme vor der nackten Brust verschränkt, als wäre ihm kalt, und rührte sich nicht von der Stelle.
»Karsten, komm doch.«
Er schüttelte nur andeutungsweise den Kopf.
»Nun komm doch.«
Er schüttelte ihn deutlicher.
»Aber deshalb sind wir doch hier.«
Er erstarrte wieder, schien regelrecht in sich zusammenzuschrumpfen.
»Du willst das doch auch.«
»Nein!«, entfuhr es ihm da, und dann zaghafter, ängstlicher: »Nicht … nicht hier.«
Ich hüpfte schon längst nicht mehr auf dem Eichengestell herum. Ich blickte nur noch von meiner erhöhten Position auf diesen plötzlich zaudernden Mann herab.
»Und wo denn?«, fragte ich, plötzlich geradezu verzweifelt.
»Dort.« Er machte eine Kopfbewegung nach hinten, zurück in den Flur.
»Und was ist dort?«
»Mein Zimmer.«
Erst schwieg ich, dann schüttelte ich meinen Kopf.
»Nein!«, erwiderte ich, »ich will es hier machen.«
»Nein, nicht hier. Das ist falsch.« Allein die Vorstellung schien ihm schon den Atem zu rauben, nur eben leider nicht vor Lust.
»Quatsch! Das ist genau richtig hier.«
»Nein, ich kann hier nicht. Ich geh in mein Zimmer.«
Und plötzlich schaltete er den Rückwärtsgang ein, verschwand aus dem Türrahmen und ließ mich in dieser Liebesgruft allein, als setzte er mich im Wald aus. Ich blieb noch einen Moment starr vor Schreck auf dem Bett stehen, dann sprang ich herunter und lief ihm hinterher.
Karsten stand am anderen Ende des Flurs, bei der Tür gleich neben dem Treppenaufgang. Seine Hand lag auf der Klinke, aber die Tür war noch immer verschlossen. Er sah sich nach mir um, bittend und hoffend, ich möge ihm folgen, und als ich kam, da lächelte er erleichtert, verzweifelt glücklich. Sein kleines, verängstigtes Herz, das im Zentrum der Ehe seiner Eltern seinen Dienst verweigert hatte, fasste wieder Mut und gewann seinen Schlagtakt zurück. Der Feigling verwandelte sich zurück in einen stattlichen Mann – in einen Liebhaber – in meinen Mann und Liebhaber.
Ich – mein Ärger schmolz augenblicklich dahin. Ich wollte ihn endlich haben.
Hinterher, später, im fahlen Licht der Sterne, sollte ich Karstens Kinder- und Jugendzimmer als äußerst bedrückend empfinden, als ein Stück geradezu grotesk eingefrorener Zeit, in dem ich keine Minute Schlaf bekäme. Zuerst aber sah ich nichts anderes als das schmale, für einen einzelnen jungen Menschen und seine Onanie-Entdeckerfreuden – wahlweise wohl auch -ängste – ausgelegte Bett. Es würde eng darin werden für uns beide, Karsten alleine mit seinem breiten, muskulösen Körper füllte es ja bestimmt schon mehr als zulässig aus, oder eben sehr kuschelig und voller Geborgenheit und Nestwärme. Das allein ließ es in meinen Augen als romantisch genug erscheinen für den Ort unserer Hochzeitsnacht, auch wenn mir das elterliche Ehebett gerade wegen seiner erdrückenden Spießigkeit als der immer noch bessere vorkam. Immerhin war es frisch bezogen, mit Bezügen, die das HSV-Logo zierte; ein zweiter Satz Bettwäsche lag am Fußende bereit, Werder Bremen diesmal, für das Sofa unten im Wohnzimmer, da war ich mir sicher, außerdem ein großes und ein kleines Handtuch sowie ein Waschlappen.
Wir standen noch einen Moment in der Tür, Karstens Blick unverrückbar auf das Bett gerichtet, dann tat wiederum ich den ersten Schritt, trat ein, ging schnurstracks zur Schlafstatt und riss alles, was darauf war, bis auf das Laken, fest und glatt gespannt, und das Kopfkissen herunter. Was brauchten wir jetzt denn schon eine Daunendecke, die sich sowieso nur immer an den falschen Stellen zu einem schwerwiegenden Gebirge aufbauschen würde? Und HSV und Werder waren erst recht nicht akzeptabel, diese Spießervereine. Wenn es wenigstens St. Pauli gewesen wäre. Aber für diesen Haushalt wäre das viel zu verrucht gewesen. Ich räumte gründlich das Feld, bereitete es vor, und als es so weit war, drehte ich mich wieder zu Karsten um, der wie auf der Türschwelle festgeschraubt dastand, ein Riese von einem Mann, ein Rübezahl, besah man sich seine Körperbau
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