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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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sehen waren in den seltsam glücklichsten Posen, als wäre das Familienleben hier immer nur eitel Sonnenschein gewesen. Perfekt geradezu und ganz im Gegensatz zu uns, zu meiner Familie, wo es ständig Zank und Streit gab und man das auch den Fotos irgendwie ansieht, weil es sie wie ein unterirdischer Energiefluss durchströmt. Aber hier schien mir das plötzlich echter, realer, menschlicher zu sein als diese immerwährend lächelnde Glückseligkeit.
    Endlich kam Karsten zu mir, zitternd vor Verlangen, so erleichtert wie verzagt darüber, es so weit geschafft zu haben. Ich umarmte ihn, er ließ es zu und erwiderte die Umarmung schließlich. Ich küsste ihn sanft auf den Mund, und er verwehrte mir seine Zunge nicht. Ich dachte darüber nach, ihm irgendeine liebe Süßigkeit ins Ohr zu schmeicheln, entschied mich aber dagegen, küsste ihn stattdessen nur intensiver. Ich merkte, wie auch von ihm endlich die altbekannte Leidenschaft Besitz ergriff. Schon fielen die ersten Kleidungsstücke auf Muttis flauschigen Berberteppich, auf dem Couch und Couchtisch in perfekter Symmetrie zueinander standen.
    Schweigend wollte Karsten mich mit sich nach unten auf ebendiese Couch mit taubenblauem Velourbezug ziehen, mir seinen Schoß zum Sitzen anbieten. Ich aber wollte nicht die Couch, nicht einmal den Teppich, obwohl die Vorstellung ein Stück weit noch aufregend gewesen wäre.
    »Nicht hier«, flüsterte ich ihm aufgeregt ins Ohr und zog an seinen Händen.
    »Wo denn?«, fragte er, in Stimme und Bewegung stockend.
    »Oben«, erklärte ich. »Im Bett.«
    »Warum?«
    »Ist gemütlicher.« Ich grinste breit.
    Ich wollte das Bett. Das Ehebett seiner Eltern – das echteste Bett, das es doch nur geben kann. Ich wollte unbedingt in diesem Ehebett mit Karsten schlafen, weil er endlich mehr sein sollte, als nur mein Liebhaber, meine Affäre: weil er mein Mann sein sollte, mein echter Mann.
    Und Karsten grinste zurück.
    Durch den Rundgang wusste ich, wo sich das Schlafzimmer seiner Eltern befand. Hastig ging es die Treppe hinauf in den ersten Stock, den kurzen, mit einem verblichenen Läufer und einer hübschen antiken Kommode ausgestatteten Flur entlang und hinein in den elterlichen Ruheraum – ein Albtraum in Eiche rustikal, das Königreich kleinbürgerlicher Spießigkeit. Rechts, von der Wand tief hinein ins Zimmer ragend, stand das Bett, eine wuchtige Burg, bedeckt mit einer Tagesdecke aus irgendeinem Tierfell, als wäre es das Nachtlager eines mittelalterlichen Herrschers. Zu beiden Seiten davon jeweils ein dazu passender Nachttisch mit Leselampe, Wecker, Bildern und sonstigem Zeug darauf. Am Fußende eine Truhe mit leicht gewölbtem Deckel. Dann kam ein ungefähr ein Meter breiter Durchgang, der von einer Berberbrücke markiert wurde, ehe sich schließlich, beinahe die ganze Wand einnehmend, ein Furcht einflößender Kleiderschrank erhob. Als kleines Kind hätte ich vor diesem dunklen Verlies bestimmt Angst gehabt. Der Teppich unter unseren nur mehr besockten Füßen war moosgrün, rau und filzig, die Tapeten zeigten ein dunkelgrünes Blattmuster und das Fenster, ohnehin schon verhängt mit undurchsichtiger nebelweißer Spitzenware, konnte des Nachts auch noch mit tiefgrünen Vorhängen zugezogen werden.
    Willkommen im tiefsten deutschen Eichenwald. Es fehlte eigentlich nur noch das Hirschgeweih oder der ausgestopfte Eberkopf über dem Kopfende des Bettes. Stattdessen hing da, auch das keine echte Überraschung, der röhrende Hirsch vor unmissverständlich romantischer Hochwaldkulisse. Einzig und allein das kleine weiß lackierte Frisiertischchen mit seinem mit einer Kette von Glühbirnen umrandeten Spiegel rechts vom Bett, an dem sich, auf einem zierlichen Hocker sitzend, die Dame des Hauses zurechtmachte, durchbrach etwas die massive Schwere dieses Raumes, die sich dadurch rächte, dass sie dieses mit Bürsten, Flakons und Tiegelchen übersäte Möbelstück wie einen ranzig gewordenen Klein-Mädchen-Traum wirken ließ.
    Und ausgerechnet hier wollte ich meine erste echte Liebesnacht verbringen, in diesem Schreckenskabinett gutbürgerlicher Sittlichkeit. Mehr als alles andere kam mir das pervers vor – und so aufregend wie das Schänden und Schleifen eines Tempels einer irregeleiteten Religion. Hier wollte ich unseren Samen verspritzen, literweise, auf das Bett mit seinem Fellüberwurf, gegen die Truhe und den Kleiderschrank, über die Nachttische und den Schminktisch, an die Tapete und die Gardinen und in den Teppich, um mit

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