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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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und den wunderschönen Wildwuchs auf seiner Haut, den Bartschatten auf den rot glühenden Wangen und am markanten Kinn – und all das wurde untergraben von einem so schüchternen Lächeln, als wäre er hier der kleine Junge und nicht ich. Schüchtern, aber wenigstens nicht mehr eingeschüchtert. Denn er lächelte ja endlich wirklich. Der Panzer seiner Anspannung hatte erste Risse bekommen und sah nun so aus, als könnten geschickte Hände helfen, ihn abzustreifen. Ich streckte ihm die meinen entgegen.
    »Komm her«, lud ich ihn ein.
    Und er folgte meiner Einladung in sein Zimmer. Er trat über die Türschwelle, diese Grenze in ein fremdes, unter Umständen wildes Land, schloss dann sachte hinter sich die Tür – ein Schlüssel steckte nicht im Schloss, hatte es wahrscheinlich auch nie – und trat in die Mitte des Raumes. Dort blieb er stehen und sah sich um, ließ seinen Blick über all die Dinge streifen, die noch von seiner Kindheit und Jugend übrig geblieben waren, wohlgeordnet – wohl eher von der konservierenden Hand seiner Mutter, der Hüterin dieser Relikte, die damit den vollständigen Untergang dieser Epoche hatte aufhalten wollen – und ohne jedes Körnchen Staub auf ihren Ablagen. Der verlorene Gott war heimgekehrt in den ihm gewidmeten Schrein.
    Karsten atmete tief ein und aus, seine Brust hob und senkte sich mächtig, doch auch jetzt nicht mehr, weil er noch gezögert hätte, sondern weil er sich besann: Wo bin ich? Wer bin ich? Werde ich tun, was ich tun will? Ja, er würde es. Er tat den nächsten Schritt, überbrückte die letzten Zentimeter zwischen sich und mir und umarmte mich fest, sehr fest, als wollte er mich durch den schieren Druck zu einem nicht mehr von ihm abzutrennenden Teil werden lassen. Ich ließ es nur allzu gern geschehen, innerlich frohlockend, als ich schließlich seine warme Haut auf meiner heißen spürte, äußerlich erleichtert – und lustvoll – aufseufzend. Er übernahm endlich wieder die Führung, wie ich das vom Tennisheim her von ihm gewohnt war, und dagegen wehrte ich mich noch weniger. Ich reichte ihm meine Lippen zum Kusse, und er nahm sie im Sturm. Er verschlang sie regelrecht, saugte meine Zunge tief in sich ein und fuhr mir mit seinen Händen kreuz und quer über den ganzen Leib, der binnen Sekunden glühte wie ein Tauchsieder, dahinschmolz.
    Schnell hatte er sich den letzten Rest seiner Kleidung, Jeans, Boxershorts, Tennissocken, ausgezogen und auch mich aus meiner verbliebenen gepellt. Wieder umfasste er mich kraftvoll, küsste er mich, als wollte er mich vertilgen, rieb er sich an mir, bis erster Schweiß aus allen Poren floss und unsere Haut wunderbar glitschig zu werden begann.
    Bis hierhin war das Programm bekannt, und trotzdem hatte es sich nur bei unserem ersten Mal noch aufregender angefühlt als jetzt. Ich vermisste schon nichts mehr, wäre schon zufrieden gewesen, wenn es dabei geblieben wäre, doch dann, in einer einzigen fließenden Bewegung, legte sich Karsten plötzlich rücklings auf sein Bett und zog mich hinterher. Ich lag auf ihm. Er lag unter mir und hielt mich fest, rückte mich in die schönste Position, damit ich nicht wieder herunterrutschte, damit wir uns weiter küssen konnten. Seine linke Hand hielt meinen Rücken, massierte pure Hitze in mein Rückgrat, bis es ganz flüssig war, seine rechte meinen Po, und dann und wann verirrten sich ihre Fingerkuppen in dessen feuchte Ritze und spielten in den Haaren darin herum. Ich spreizte die Beine, dass er besser herankäme, und dieses Mal verweigerte er das Geschenk nicht.
    Stattdessen packte er mich plötzlich, hob mich mit einem Ruck hoch und legte mich auf den Rücken. Nun lag er auf mir, ich unter ihm, und einer seiner Finger steckte kurz tief in meinem Hintern. Es tat ein wenig weh, weil es so abrupt geschah, aber diesen Schmerz genoss ich. Er hielt auch gar nicht lange an, weil leider auch der Finger nicht lange darin verweilte, und als Karsten ihn aus mir herauszog, entstand eine Leere dort unten in mir, ein Vakuum, in dem sich das nun unmissverständliche Verlangen breitmachte, richtig ausgefüllt zu werden, von etwas Größerem, vielleicht Schmerzhafterem, aber auf jeden Fall Lustvollerem als einem Finger.
    Aber noch nicht, noch genoss ich es zu sehr, unter Karsten, meinem Karsten, zu liegen. Ich lag begraben unter dem zärtlichen Gewicht all seiner achtzig Kilogramm, mein ganzer Körper bedeckt von seinem. Da war kein Quadratzentimeter Hautoberfläche mehr frei, den er nicht

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