Die unsicherste aller Tageszeiten
dessen, was man erlangt haben muss. Und alle sind sie immer unglaublich freundlich und nett zueinander, hilfsbereit auch in der Not, eine echte starke und durch und durch vorbildliche nachbarschaftliche Gemeinschaft, und die Generationen – Großeltern, Eltern, Kinder, Enkelkinder – verstreichen gleichförmig wie die Zeit.
Karsten hat nie über sich gesprochen, weder über seine Ehe noch über seine Eltern. Ich habe auch nie gefragt, dafür haben wir uns einfach zu selten gesehen, und ich hatte dann ganz andere Dinge im Kopf. Verschmelzen wollte ich mit ihm, für immer eins werden, aber ganz bestimmt nicht irgendwelche Probleme wälzen. Alles, was ich letztlich über ihn weiß, ist, dass Karsten im Alter von sieben Jahren mit dem Tennisspielen begann, sich schnell als gutes Talent entpuppte, das regelmäßig die Vereinsmeisterschaften gewann und einmal sogar das Finale der Kreismeisterschaften erreichte und auch darüber hinaus seinem Verein für die Jugendarbeit und als immer freundliche Hilfskraft zur Verfügung stand. Man muss ihn gemocht haben, denn noch immer lud man ihn regelmäßig zu Veranstaltungen ein und freute sich aufrichtig, ihn zu sehen.
So wunderte es auch niemanden, dass er der Einladung zum Jubiläumsturnier gefolgt war und einen seiner neuen Zöglinge mitgebracht hatte. Niemand reagierte skeptisch oder misstrauisch, weil er sich für diesen Zweck mit mir im Haus seiner Eltern einquartiert hatte, die ganz zufällig gerade für zwei Wochen in Italien im Urlaub weilten. Man klopfte ihm nur anerkennend auf die Schulter und erkundigte sich nach Vater und Mutter, Frau und Kindern. Das Einzige, was für den Moment negativ auffiel, war mein schlechtes Spiel auf dem Platz, das kaum Karstens Wahl, ausgerechnet mich für dieses Turnier angemeldet zu haben, rechtfertigen konnte.
Meinen Erstrundengegner hätte ich schon besiegen können, wenn ich denn gewollt hätte. Ich verlor, immerhin nur in drei Sätzen, von denen wenigstens einer hart umkämpft war. Mit gesenktem Haupt – alle dachten, ich wäre geknickt, dabei wollte ich nur die allzu deutliche Vorfreude, die mir als fettes Grinsen aus dem Gesicht sprang, verbergen – schlich ich vom Platz, duschte und setzte mich danach etwas abseits ins Klubheim, als hätte ich nicht mehr das Recht, nach einer solchen Niederlage noch unter diesen vortrefflichen Spielern und Spielverstehern weilen zu dürfen. Ich war ein erbärmlicher Anblick, ein untröstliches Häuflein Elend. Karsten sah es sich ein paar Minuten lang an, dann erklärte er allen Versammelten, es wäre wohl das Beste, mich fürs Erste nach Hause zu bringen, damit ich mich etwas beruhigen, die Niederlage verdauen könne, und vielleicht kämen wir ja später noch einmal vorbei, um uns den Rest des Turniers anzusehen. Ich nickte dazu ergeben und ansonsten ausdruckslos und sah zu, dass ich zum Auto kam. Nichts davon war abgesprochen gewesen, wir hatten einfach deshalb perfekt miteinander harmoniert, weil wir zusammengehörten. Wenn es dafür noch auch nur des geringsten Beweises bedurft hätte, mit diesem Theaterstück hatten wir ihn geliefert.
Ich kicherte albern drauflos, kaum dass wir im Auto saßen. »Das war super«, sagte ich, »die sind voll drauf reingefallen.« Ich wollte ihm um den Hals fallen und küssen.
»Nicht hier. Die sehen uns doch«, wehrte Karsten mich ab.
Erst da merkte ich, wie nervös mein großer Liebhaber war. Ich hielt es für ein gutes Zeichen, denn obgleich wir kaum jemals wirklich miteinander über irgendwas sprachen, ahnte ich doch zumindest, dass dieser Ausflug hier auch für ihn eine wichtige, alles andere als alltägliche Sache war. So etwas wie ein Experiment. Hatte er, obwohl doppelt so alt wie ich, überhaupt schon einmal die Nacht mit einem anderen Mann verbracht? Denn das war ja der einzige Grund, warum wir hergekommen waren. Ich hoffte inständig, dass er so etwas noch niemals gemacht hatte, dass er da noch ebenso jungfräulich war wie ich. Ich wollte für ihn der Erste sein, wie er für mich der Erste war.
Darin lag der Kern meiner Vorfreude. Wegen der Aussicht auf eine erste vollständig gemeinsame Nacht mit Karsten war ich so aufgeregt, dass es selbst meinen Eltern aufgefallen war. Nur hatten sie es als sportlichen Ehrgeiz gedeutet, als gutes Zeichen also, und mich in Frieden gelassen. Karsten und ich, wir würden miteinander schlafen, vom Abend bis zum nächsten Morgen, in einem Bett wie ein richtiges Paar, wie zwei Menschen, die ganz offensichtlich
Weitere Kostenlose Bücher