Die unsicherste aller Tageszeiten
Kindern vorbeten mochte, aber gewiss nicht mir, der ich nicht sein Kind war und es auch nicht sein wollte. Was mich tröstete, war allein die Rückgewinnung seiner körperlichen Nähe. Er strahlte noch immer so eine unheimliche Wärme aus, die mir die Tränen schließlich trocknete.
Diesmal war er es, der das Streicheln begann, der es als ein Mittel einsetzte, etwas zu erreichen. Er war es auch, der seine ursprünglich beschwichtigende Bedeutung fahren ließ und es zu einem Werkzeug umwandelte, das mich auf andere Gedanken bringen, mir zumindest etwas von dem schenken sollte, was ich mir noch immer wünschte. Bald küsste und wichste er mich ein zweites Mal an diesem Nachmittag, der kein Ende zu nehmen schien. Ich ließ es mir gefallen, weil es sich ja auch wirklich schön anfühlte und zumindest ansatzweise in die richtige Richtung ging. Ich ließ mich von ihm auf den Rücken legen und überließ mich seinen großen Händen, die genau wussten, was sie taten. So brauchte es nicht lange, und meine Bauchdecke schwamm in Sperma, die dünne Linie von Haaren von der Scham hoch zum Bauchnabel, die damals gerade erst zu sprießen begann, wirkte wie ein Hain aus Seegras in dieser dicken milchigen Substanz. Karsten gab seine Ladung noch dazu, und nach kurzer Zeit schon breitete sich dieser schnell schal werdende Geruch, den Samen an der Luft annimmt, als würde er oxidieren, um uns herum aus. Ich musste lächeln und Karsten daher auch. Er war auf jeden Fall zufrieden. Ich fuhr mit dem Zeigefinger durch den See auf meiner Bauchdecke, benetzte ihn mit diesem Lebenselixier und kostete dann erst selbst davon, ehe ich ihn von meinem Liebhaber sauber lecken ließ. Er tat es mit Genuss. Es knüpfte von Neuem ein Band zwischen uns, eins, dass ich als aus Liebe und Vertrauen geflochten wertete, und hatte meinen Groll und meine Verletztheit im Nu wieder vergessen. Wir machten Löffelchen, ich vorne, Karsten hinten, er bedeckte meine gesamte Rückseite mit seiner warmen Haut, der begrenzte Platz des Bettes hätte uns auch gar keine andere Wahl gelassen, und schliefen ein.
Als ich wieder erwachte, lag ich allein im Bett und hörte, wie Karsten eben wieder die Treppe heraufkam, sauber, reingewaschen von all seinen Taten wie Untaten, wie es nur ein Verräter sein konnte. Der herbe Duft seines Duschgels brannte mir in der Nase. Außerdem trug er seine Boxershorts und ein weißes T-Shirt.
»Hast du Hunger? Wollen wir was essen?«
Hatte ich nicht, wollte ich nicht. »Ja«, sagte ich.
»Okay», sagte er. »Du gehst duschen, ich koch uns was Schönes.«
»Okay«, machte ich ihn nach.
Ich duschte und aß dann die Nudeln mit Tomatensoße, die er uns zubereitet hatte. Dazu gab es Mineralwasser, Saft hätte er keinen gefunden, entschuldigte er sich. Danach wuschen wir zusammen ab und sahen noch ein wenig fern, bevor wir früh zu Bett gingen. Wenigstens musste keiner von uns auf der Couch schlafen, er duldete mich weiterhin in seiner Nähe. Aber Sex hatten wir an diesem Abend keinen mehr, mir war auch nicht mehr danach, nicht einmal, als wir wieder – nackt, darauf hatte ich bestanden – in Löffelchenstellung eng aneinander geschmiegt in seinem schmalen Bett lagen.
Obwohl zutiefst von dem heftigen Gefühls-Auf-und-Ab dieses Tages erschöpft an Leib, Geist und Seele, bekam ich die ganze Nacht kein Auge zu. Karsten dagegen brauchte nur einen Moment, und schon fing er an, leise in meinem Rücken zu schnarchen. Sein gleichmäßiger Atem strich mir direkt am Ohr vorbei, und es gab Phasen in den langen Stunden, die nun folgen sollten, in denen dieses Geräusch seines Daseins einfach nur ohrenbetäubend laut und unerträglich war. Mehrmals wäre ich sehr gerne aus dem Bett geflohen, doch hielt mich mein eigenwilliger Liebhaber ständig mit einem Arm umfasst und an sich gepresst, als spürte er meinen Fluchtinstinkt und wollte ihn von vornherein unterbinden. Als wäre ich sein Eigentum, mochte er sich auch geweigert haben, wirklich von mir Besitz zu ergreifen. Als wäre ich nur seine neueste Errungenschaft, so etwas wie ein goldglänzender Pokal, in einem fairen Wettkampf gewonnen, auf den man für einen kurzen Moment über die Maßen stolz ist, ehe auch er zu den anderen ins Regal wandert, um dort seine trostlose Existenz als Staubfänger zu fristen.
Als solcher hätte ich gut in dieses Zimmer gepasst, das mir einzuprägen ich viel, viel Zeit hatte. Im fahlen Halbmondlicht – der Vollmond mochte noch zu Beginn unserer Reise geschienen haben,
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