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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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mir diese alte Geschichte immer noch so nachhängt, dass Karsten, dieses feige Schreckgespenst, in mir hausen darf wie in einer vermoderten Gruft und ich kein Mittel weiß, womit er sich austreiben ließe.
    Er hat mich gedemütigt …
    Karsten entzog sich mir. Mit einem Ruck glitt er aus mir heraus, und allein schon das Gefühl dabei war erschreckend, so als würde er mir einen Teil meiner selbst entziehen. Dort, wo eben noch Karstens Schwanz war, entstand nun ein Vakuum, das sofort kollabierte. Eine ganz eigene Abart des Schmerzes, ausgerissene Nervenenden, die besonders in meinem Kopf verzweifelt nach einem neuen Kontakt, nach einer Andockstation suchten. Bis heute hasse ich diesen Moment, der für den unwiderruflichen Abbruch der Verbindung zwischen mir und meinem jeweiligen Geliebten steht, für das Ende unseres Umgangs miteinander, der zurecht auch als Verkehr bezeichnet werden kann, und meinen Rücksturz in die Einsamkeit des Ungeliebten. Die Franzosen mögen den Orgasmus als kleinen Tod bezeichnen, doch was ist der schon gegen diesen großen Tod, der mich jedes Mal ereilt, sobald das Liebesspiel vorüber ist. Wenn mir dann wenigstens noch ein wenig Sperma aus den Arschbacken tropft, der Beweis dafür, dass das da eben auch tatsächlich stattgefunden hat, Lohn und Abschiedsgeschenk zugleich für die wunderschöne Arbeit, ist mir das ein kleiner Trost, ein Trost, der sich, noch bevor die fremde Flüssigkeit wieder ganz ausgeschieden und abgewaschen ist, in Angst und Schuld verwandelt. Heute jedenfalls, damals machte ich mir darüber noch keine Sorgen, obwohl mir Karstens Lebensstil eigentlich eine Warnung hätte sein sollen. Damals war ich einfach nur jung und völlig unaufgeklärt und frisch verliebt gewesen und erlebte gerade meine erste große Kränkung.
    Die plötzliche Leere in mir war nur das eine, was diesen Augenblick auf einmal so unerträglich werden ließ. Das andere war der Geruch, der sich sofort danach um uns ausbreitete. Wir stanken jetzt nicht mehr einfach nur nach Schweiß und Sperma, was geil gewesen wäre, sondern auch nach Scheiße und, jedenfalls bildete ich mir das später ein, nach Blut. Doch nicht der rote Kupferhauch war es, der mir peinlich war, sondern der Scheißegeruch. Dabei war das ja eigentlich nur logisch, ich hätte es wissen müssen, schließlich hatte ich bis dato mein ganzes Leben lang meinen Hintern nur zum Sitzen und Scheißen benutzt. Dass ich ihn jetzt zum ersten Mal nicht zum Ausscheiden benutzt hatte, sondern als Mittel zur Lustgewinnung, mag gewollt gewesen sein, nichtsdestotrotz war ich kein bisschen darauf vorbereitet gewesen – und es sollte auch noch einige Jahre dauern, bis ich lernte, was man dagegen tun kann, dass sich beide Handlungen unappetitlich überschneiden.
    Als Karsten mir seinen Schwanz, mein neues köstliches Eigentum, so plötzlich entrissen hatte, entfuhr mir erst ein leiser Schrei und dann, weil ich so überrascht war und mein Mund gerade ungefähr dort lag, biss ich ihn leicht in die Schulter. Als mir jetzt dieses leicht säuerliche Geruchsgemisch in die Nase stieg, wusste ich überhaupt nicht, wie ich reagieren sollte, und biss darum nur umso kräftiger zu. Dass Karsten noch immer heulte oder warum, hatte ich in diesem Moment ganz vergessen. Ich wollte mich einfach nur unter seiner Haut verstecken, bis er mir sagte, das wäre alles normal und üblich so, kein Grund, sich zu verkriechen, eher einer, den Spaß gleich noch einmal zu wiederholen.
    Karsten sagte nichts davon. Karsten geriet endgültig in Panik.
    »Sag mal, hast du sie noch alle?« Er stieß mich von sich runter, als wäre ich ein Blutegel oder eine Zecke, irgendein Ungeziefer jedenfalls, mit dem man keine Berührung haben will. Ich wäre beinahe aus dem Bett gefallen, als er, wie von der Tarantel gestochen, über mich drübersprang, in die Mitte seines Zimmers, hektisch mit der Hand über den sich rötlich verfärbenden Kranz meines Zahnabdrucks auf seiner Haut fuhr, als könnte er ihn so wieder unsichtbar machen, und schimpfte und fluchte und Vorwürfe machte und dem Weltuntergang ins Auge zu schauen schien.
    »Herrgott noch mal! Was sollte das denn? Wenn meine Frau das sieht! Wenn die das sieht und Fragen stellt, was dann, häh? Was dann? Die wird mir die Hölle heißmachen. Wie soll ich ihr das nur erklären? Was soll ich ihr sagen? Sie wird das ganz sicher sehen. Soll ich ihr etwa sagen, dass … dass … Scheiße, was soll ich ihr erzählen, häh?«
    Ich hörte ihm kaum zu. Ich

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