Die unsicherste aller Tageszeiten
starrte ihm die ganze Zeit über nur auf sein Glied, das, da er wie Rumpelstilzchen großer Bruder unentwegt von einem Bein aufs andere sprang, eifrig von links nach rechts baumelte. Es war schmutzig auf seiner ganzen Länge. Braune, rostrote und weißliche Flecken hatten sich zu einem glänzenden Film verschmiert, und hin und wieder tropfte etwas davon zu Boden, wurde in einem Bogen von der Spitze geschleudert und versickerte in der abgetretenen, filzig robusten Auslegware. Ich dachte nur: Das ist unser Werk. Das sind wir gewesen – das sind wir. So sieht das also aus, wenn zwei Männer miteinander Liebe machen. Und es ist schön, wahrhaftig. Am liebsten hätte ich mich vor ihn hingekniet und seinen Penis sauber geleckt.
»Was soll ich ihr nur sagen?«, jammerte Karsten weiter. »Irgendeinen Vorschlag?«
»Die Wahrheit.« Etwas Besseres fiel mir nicht ein.
Karsten erstarrte mitten in der Bewegung, eingefroren von Angst und Schrecken. Er starrte mich aus Augen an, aus denen kurzzeitig jedes Leben gewichen war, ehe es mit furchtbarer, ich befürchtete schon mörderischer Wut in sie zurückkehrte.
»Hast du noch alle Tassen im Schrank? Ich kann ihr doch nicht die Wahrheit sagen! Ich … Ich …« Dann brach er zusammen, ganz plötzlich war alle Wut und Aufregung, alles Geschrei und Gezeter vorbei, als hätte man ihm den Strom abgestellt, und was übrig blieb, war nichts als Selbstmitleid. Er sah mich an, aus noch immer tränennassen Augen, dann sah er sich selbst an, sah, dass er besudelt war, von oben bis unten, Kopf bis Fuß. Und aus seinem verzweifelten Selbstmitleid wurde ein ganz erbärmliches Selbstmitleid, denn Karsten lehnte jede Verantwortung für das Geschehene ab und suchte jemanden, dem er die Schuld zuschieben konnte. Und er fand mich.
»Du verdammter Idiot«, sagte er und heulte erneut. »Sieh, was du getan hast.« Er deutete auf seine schmutzstarrende Körpermitte, mochte sie gar nicht mehr anfassen und versuchte gleichzeitig, seine Blöße mit den Händen zu bedecken. »Das ist alles deine Schuld. Ich hätte dich niemals mitnehmen sollen. Du hast mein Vertrauen missbraucht. Wegen dir ist jetzt vielleicht meine Ehe am Ende.«
Den letzten Satz hatte er geschrien und dabei nicht nur einen Schritt auf mich zu gemacht, sondern auch mit der Hand zum Schlag ausgeholt. Ich hatte Angst, er würde zuschlagen. Aber die Angst war unbegründet, denn Karstens Angst vor den Konsequenzen – ein blaues Auge als Beweisstück für häusliche Gewalt, mein Geschrei als Entlarvung seiner heimlichen homosexuellen Umtriebe oder doch eine Anzeige wegen Kindesmissbrauchs, wie er es auch gedreht und gewendet hätte, es wäre wohl auf einen Skandal hinausgelaufen – war noch größer. Er fiel in sich zusammen wie ein schöner, aber mit billigsten Materialien erbauter Palast, bis vor mir die Menschenruine stand, die mein Karsten in Wirklichkeit nur war. Nein, er würde mich nicht schlagen, er würde überhaupt nichts mehr mit mir. Er liebte mich, sonst hätte er mich niemals mit auf diese Tour genommen, davon war und bin ich nach wie vor überzeugt. Aber seine Liebe hatte keinerlei Bedeutung, denn sie war eine Liebe voller Angst, kurz gehalten an einer schweren Eisenkette aus Angst, geschmiedet an einen Felsen aus Angst, verloren in ihrer Einsamkeit aus Angst, ausgehungert und verzweifelt. Wohl nur ein Übermaß an Gewalt, vielleicht sogar tödliche Gewalt, wäre fähig, diesen Fluch zu brechen und seine Angst zu töten. Bis dahin aber würde er seine Liebhaber, seine Frau inklusive, einen nach dem anderen seelisch töten. Die Angst hatte seine Liebe in ein Raubtier verwandelt, das nur imstande war, das Objekt seiner Begierde als Beute zu schlagen, nicht aber zu lieben. Es sei denn, man hasste ihn rechtzeitig selbst.
Auch ich heulte längst, ich fühlte in mir die Wunden eines von einem bösen Wolf gerissenen Tiers. Aber ich war noch nicht erlegt, ich hatte das geheime Wissen erlangt, wie ich seinen Fängen entkommen konnte. Mich würde er nicht kriegen.
»Ich bin nicht schuld«, flennte ich wütend. »Ich bin hier nicht der Idiot. Du hast mich hergebracht. Du hast mich unter die Dusche gelockt. Du wolltest, dass das hier passiert. Das ist alles deine Schuld. Deine Schuld. Deine Schuld!«
Er wusste, dass ich recht hatte, ich sah es in seinen Augen. Das Begreifen der Wahrheit wuchs dort schrecklich und schwarz wie ein Tumor. Und die Wahrheit war stärker als er, als sein momentaner Hass auf mich und sein ewiger Hass auf
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