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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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der bald fröhlich im Takt wippte. Da hatte ich mich längst wieder aufgerichtet und etwas zurückgelehnt, um so viel von Karsten in mir zu spüren, wie nur eben möglich.
    Wir veränderten kein einziges Mal unsere Position, dafür war unser gemeinsames Gebilde doch noch viel zu fragil. Ich kann auch nicht sagen, wie lange es dauerte, aber wir waren beide hinterher so triefend nass von Schweiß, als hätten wir uns ein stundenlanges Tennismatch in einer Trockensauna geliefert. Und der Matchball war gewaltig. Die ganze Zeit über hatte Karsten seine Hände an meinen Hüften, Brustwarzen, Haaren, Beinen gehabt, überall, nur nicht an meinem Schwanz, der immer heftiger wie die Rute des Nikolaus gegen seinen Bauch klatschte. Der mit jeder Sekunde weiter anzuschwellen schien, bis er schier von selbst geborsten wäre. Da aber legte er, ohne den Rhythmus seiner Stöße zu unterbrechen, endlich gleich beide Hände um meinen Schwanz und ich kam sofort und mit einem lauten Aufschrei. Ich brüllte all meinen Schmerz und meine Erleichterung heraus. Ich zuckte wie ein aufgespießter Derwisch und verspritzte meinen Samen über ihn, Unmengen davon, wie mir schien, unendlich weit, bis hoch in sein Gesicht. Und zugleich presste ich wieder die Arschbacken so heftig zusammen, dass es auch Karsten nicht länger aushielt und er ebenfalls, wie unter Krämpfen, animalische Laute gurgelnd, in mir kam. Und ich fühlte mich wahrhaft befruchtet. Sein Samen, der direkt in meine aufgepflügten Blutgefäße eindrang. So, wie ich es mir erträumt hatte. Das Feld zu bestellen, mochte noch eine Qual gewesen zu sein, aber das Ausbringen der Saat wog es allemal wieder auf. Das war es wert gewesen. Vernunftlos glücklich sackte ich auf Karstens Körper zusammen. Und er, noch immer in mir weilend, zog mich ganz fest zu sich heran, bis er mich glücklich umklammerte.
    Dachte ich jedenfalls. Aber Glück ist ohnehin schon das flüchtigste Element des Menschen, und für manche von ihnen ist Glücksempfinden das größte Unglück überhaupt.
    Ich lag mit meinem Kopf auf Karstens Brust, spürte sein Kinn in meinem Haarschopf, und seine Arme hielten mich fest, als wollten sie mich niemals mehr loslassen, als plötzlich ein großes Schaudern und Zittern durch seinen Körper ging, ein Schniefen ertönte und ein Winseln: Karsten weinte.
    Mein großer, starker, mächtiger Liebhaber Karsten weinte, und ich wusste weder warum noch was dagegen tun. Ich erstarrte vor Schreck, und ein kalter Schauder lief mir den Rücken hinunter, eine Gänsehaut nach sich ziehend. Ich fühlte mich verwirrt und hilflos, ganz plötzlich verlassen, und umklammerte ihn, damit er mir nicht entglitte. Er antwortete mit einer noch stärkeren Umarmung, und das gab mir den Mut, mich etwas aufzurichten, ihn anzusehen, nach seinem Blick Ausschau zu halten, ihn einzufangen, festzuhalten, wieder eine direkte Verbindung zwischen uns herzustellen, um ihm auch auf diesem Wege mitzuteilen, dass alles gut wäre. Aber Karstens Gesicht lag auf der Seite und seine geschlossenen Augen starrten die Wand an. Was sollte ich jetzt tun?
    »Alles in Ordnung?«
    Ich muss so etwas wie eingeschlafen sein – und habe in diesem seltsamen Schlaf, der der reine Traum gewesen ist, tatsächlich eine Ejakulation gehabt. Die einzige Form von Tränen, die ich um seinetwillen noch zu vergießen imstande bin, wenn auch stets gegen meinen Willen. Sie verkleben mir die Unterhose, es fühlt sich schrecklich an, und nur meine als Decke über den Schoß ausgebreitete Jacke hat den Blick auf die Peinlichkeit verhindert. Meine Augen dagegen sind zwei vom Hass ausgebrannte leere Höhlen, die in eine tote, ebenso leere Welt starren. Sie erblicken vier weit aufgerissene Rentneraugenpaare, in ihrem Bemühen gescheitert, das seltsame Verhalten des jungen Mannes in ihrer Mitte irgendwie zu verdrängen. Habe ich gestöhnt oder in meiner geistigen Abwesenheit irgendwas gesagt, irgendetwas Kompromittierendes? Wahrscheinlich halten sie mich längst für einen Psychopathen.
    »Alles in Ordnung?«, wiederholt die vorlaute Witwe neben mir ihre Frage überfürsorglich.
    »Alles verloren«, sage ich.
    Ratlosigkeit herrscht daraufhin allenthalben, die bedeutet zumindest gnadenvolle Stille. Jeder guckt pikiert in eine andere Richtung, während ich mit meinem bitteren Ärger darüber, mir selbst jetzt noch, nach fünfzehn Jahren, manchmal in die Hose zu heulen, wenn ich an die Heide-Fahrt denke, und mit meinem Schicksal hadere. Ich hasse es, dass

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