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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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selbst mit roher Gewalt dazwischen gehen und meine Furienbrüder von mir wegreißen musste. Ich trug Prellungen am ganzen Körper, ein blaues Auge und eine aufgeplatzte Lippe davon, ansonsten aber fühlte ich mich so gut wie lange nicht mehr, lebendig.
    »Das hat gutgetan«, bedankte ich mich, diesmal eher vor Erleichterung heulend, bei meinen Brüdern, die die Welt nicht mehr verstanden.
    »Geh sofort auf dein Zimmer, du …«, schrie mein Vater und verschluckte sich an dem Schimpfwort, das er mir an den Kopf hatte werfen wollen.
    Ich ging ohne Widerrede.
    Drei Wochen setzte ich mit dem Tennis aus, natürlich nicht erklärend, warum ich nicht mehr zum Training gehen wollte. »Nein, es ist nicht wegen einem meiner Mitspieler, verdammte Scheiße noch mal!«, stauchte ich meine Mutter am Mittagstisch zusammen, den von ihr versaubeutelten Genitiv demonstrativ betonend; ihre Frage war so dumm und plump gewesen. Wie konnte sie mir nur unterstellen, ich hätte was mit einem der Typen aus meiner Trainingsgruppe anfangen können, das war doch nur eine widerlich picklige Horde pubertierender Gören, die den Schuss nicht gehört hatten, während ich in Wahrheit nichts so sehr wie den Moment fürchtete, in dem ich Karsten wieder vor Augen treten und endgültig einsehen musste, dass zwischen uns alles vorbei war. Noch, solange wir einander nicht begegneten und unser Ende abgerissen lose in der Luft flattere, bestand ja immerhin theoretisch die Chance auf eine Wiedervereinigung, dass alles nur ein Missverständnis gewesen war. In meinem Innern hingegen hatte ich natürlich längst begriffen, dass der Bruch endgültig war und bei unserer nächsten Begegnung manifest werden würde. Wenn ich in den vergangenen Tagen nicht richtig zusammengebrochen und tatsächlich ein Fall für den Psychodoktor geworden war, so war das allein dieser vagen falschen Hoffnung zuzuschreiben.
    Andererseits vertrug ich dann auch die Ungewissheit nicht länger – bei anderen Menschen will ich generell immer sehr schnell wissen, woran ich bei ihnen bin, und wenn das heißt, die Fakten selber zu schaffen –, und deshalb ging ich nach drei Wochen doch noch einmal zum Training. Außer mir war an diesem trüben Frühherbsttag nur das Geschwisterpaar Peer und Birthe gekommen, die so etwas wie im Geiste zusammengewachsene siamesische Zwillinge sein mussten, so ähnlich waren sie sich in allem, was sie taten, sagten und dachten – ich habe gehört, dass aus Birthe eine stramme Lesbe geworden sei, die auf einen ähnlichen Frauentyp steht wie ihr Bruder, irgendwann rächt sich so etwas eben immer. Ich war ganz froh darüber, kaum Publikum zu haben, auch wenn ich mich meiner eventuellen Tränen oder der Szene, zu der ich mich vielleicht sogar hätte hinreißen lassen können, sicher nicht geschämt hätte. Denn es wurde hart, eine anderthalbstündige Zumutung, wie ich sie mir kein zweites Mal im Leben mehr antun werde.
    Gleich im ersten Moment war klar, dass es kein weiteres Stelldichein unter der Dusche mehr geben würde. Oder sonst irgendetwas. Alles war kaputt. So kaputt, dass er mir nicht ein einziges Mal noch direkt in die Augen schauen wollte, mochte die Situation auch noch so unverfänglich sein. Aber jetzt deutete er auch nicht mehr mit seinem markanten Kinn auf mich, sagte »Du, komm doch mal her« – Karsten rief die Menschen grundsätzlich nie bei ihrem Namen, das Du war schon das höchste der Gefühle –, wenn er uns etwa zum wiederholten Male die korrekte Technik der Slice-Rückhand demonstrierte, damit ich, Wachs in seinen Händen und mich absichtlich ein wenig dumm anstellend, um noch etwas länger in seiner fachmännischen Umarmung verweilen zu dürfen, ihm dabei als Dummy diente. Jetzt rief er ständig Birthe zu sich und achtete sorgfältig darauf, ihrem Körper nicht zu nahe zu kommen, als könnte er sich an ihr Brandblasen holen.
    Das Training lief steif und freudlos ab, ohne jedes sonst übliche Herumalbern. Selbst Peer und Birthe merkten, dass etwas nicht stimmte, ohne dieses Etwas benennen zu können, weil das eine Erfahrung aus der Erwachsenenwelt war, in die sie augenscheinlich so tief noch nicht hineingesehen hatten. Als Folge davon aber zogen sie sich immer weiter von Karsten und mir zurück, bald ganz auf die eine Hälfte des Spielfeldes, damit das Netz eine hohe Mauer zwischen ihnen und Karsten und mir bildete, wodurch ein richtiges Training unmöglich wurde. Karsten beschloss daraufhin, dass wir die letzte halbe Stunde ein Doppel

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