Die unsicherste aller Tageszeiten
vergraben.
Bei seiner Erziehung hätte mein Vater vermutlich gar nicht anders auf mein Coming-out reagieren können, und trotzdem bin ich überzeugt davon, dass das Verstörendste daran für ihn war und ist, dass wir uns nicht nur charakterlich recht ähnlich sind, eben Dickköpfe vor dem Herrn, sondern besonders auch optisch. Papa war und ist noch immer der bestaussehendste Mann des Dorfes, einer, der auch in jeder Stadt die Blicke der Leute auf sich gezogen hätte, und ich muss schon sagen – auch auf die Gefahr hin, damit etwas Blasphemisches zu tun – würde er mir irgendwo nackt im Dunkeln begegnen, ich würde nicht Nein sagen, selbst wenn ich dann schon längst erkannt hätte, um wen es sich handelte. Wir würden mit unserem, lediglich zeitlich etwas versetzten Ebenbild kopulieren, womit der Geschlechtsakt zur reinen Onanie würde und damit frei von jedem Inzest.
Meine beiden Brüder haben zwar seinen stattlichen muskulösen Körperbau geerbt, sind aber darüber hinaus blond geraten wie Mama und neigen wie sie dazu, schnell Fett anzusetzen, was ihnen, achten sie nicht ständig auf ihre Fitness, sofort eine gewisse Schwammigkeit bis Aufgedunsenheit verleiht. Ich dagegen bin zwar nicht ganz so groß wie Papa und nicht ganz so breit in den Schultern, dafür habe ich sein schwarzes Haar und seine markanten Gesichtszüge mitbekommen, die nur ein ganz klein wenig von den mütterlichen Rundungen entschärft werden. Wenn er mich ansieht, blickt er in einen Spiegel, er sieht nicht einfach nur seinen Sohn, er sieht eine Reproduktion seiner selbst. Und den erblickten auch alle anderen Einwohner des Dorfes: der schwule Klon meines Vaters. Den der Vater immer besonders lieb gehabt hatte. Dessen Verhältnis zu diesem Sohn immer wesentlich inniger gewesen war, seit der ein kleines Würmchen auf der Welt gewesen war, als das der Mutter zu ihrem dritten männlichen Nachkommen. Die Theorie, der Junge sei schwul geworden, weil er eine dominante, überfürsorgende Mutter und einen abwesenden, abweisenden Vater gehabt hätte, griff in unserem Fall also nicht. Wenn nicht die Mutter schuld daran war, wer war es dann?
Meinen Vater konnten sie ebenfalls nicht meinen, schlimmstenfalls auf diese Art diffamieren. Denn eigentlich verdächtigten die Männer des Dorfes ihn, den Schönling, dem ihre Frauen ständig diese verträumten Blicke hinterherwarfen, des Seitensprungs mit ebendiesen Göttergattinnen. Mit ihm konnte keiner der anderen Männer konkurrieren, und deshalb begegneten sie ihm immer wieder mit Distanz, obwohl er einer der engagiertesten Bürger der Dorfgemeinschaft war. Vor ihm – und das weiß ich von meinen Geschwistern, die alle viel tiefer im Dorf verwurzelt waren als ich und dementsprechend ihre Augen und Ohren überall hatten – versuchten sie ihre Ehefrauen, immerhin ihr wertvollster Besitz, zu beschützen, denn einzig für ihn, so stellten sie sich das jedenfalls in ihren Hinterwäldlerhirnen vor, machten sie sich doch überhaupt nur schön, versuchten sie rank und schlank zu sein.
Wie die sich gewundert hätten, hätten sie die Wahrheit gekannt, und zwar alle, Männer wie Frauen!
Die Wahrheit ist nämlich die, dass mein Vater tatsächlich hinter keiner der Frauen im Dorf her war und erst recht nicht hinter einem der Männer. Er frönt einer ganz eigenen kleinen Vorliebe, um die nicht einmal meine Mutter weiß und die sie, sollte sie diese jemals entdecken, vermutlich in tiefste Selbstzweifel stürzen würde. Ich kam ihr auch nur zufällig auf die Schliche, eines Nachmittags, als ich, verärgert über irgendwas, was er oder sonst wer mir angetan zu haben schien, irgendeine Nichtigkeit, die ich längst wieder vergessen habe, Papas Werkstatt durchsuchte. Ich suchte nichts Bestimmtes, nur einen Weg, meinen Ärger abzulassen. Was ich fand, waren Pornohefte. Ein ganzer Stapel Pornohefte mit lauter dicken, fetten Frauen darin, die sich von Männern vögeln ließen, die neben ihren Fett – und Fleischbergen wie Hänflinge aussahen und vermutlich nach dem Begattungsakt sofort verspeist wurden.
Dabei ging ihm also einer ab – und ich galt als pervers! Und Mama, die noch auf dem Hochzeitsfoto ein wenig mondgesichtig und pummelig wirkt, macht eine Diät nach der anderen, um für ihren Göttergatten rank und schlank und attraktiv zu sein.
An jenem Tag damals rächte ich mich für gar nichts, ich beließ es beim innerlichen Triumphieren, endlich eine echte Waffe gegen die Selbstherrlichkeit meines Vaters in der Hand zu
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