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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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Früher ließ er mir das meiste durchgehen, jetzt brachte ihn buchstäblich alles, was ich tat, auf die Palme. Zuerst beugten wir uns seinem überlegenen Willen, dann kuschten wir immerhin noch eine Zeit lang und schließlich probten wir ebenso den Aufstand nach außen, wie unsere pubertierenden Hormone nach innen jedes kindliche Verlangen nach Zuneigung und Buhlen um die väterliche Liebe brandschatzten, schleiften und pfählten. »Ich bin dafür nicht mehr verantwortlich«, kapitulierte er schließlich und zog sich in seine Werkstatt-Bibliothek zurück.
    Nicht dass das noch etwas geändert hätte. Uns allen vier war längst klar, dass Papa keine Macht mehr über unser Leben hatte, spätestens mit unserem Auszug von zu Hause. Keiner meiner Brüder ergriff einen handwerklichen Beruf, wie es Papa sich wohl mal für sie – um der kruden Vorstellung einer eigenen Familientradition willen – vorgestellt hatte, stattdessen wurde der eine Lehrer und der andere Sozialpädagoge – und ob es für beide die jeweils richtige Tätigkeit ist, bedenkt man ihre familiäre Vorbelastung und ihr cholerisches Sozialverhalten, sei einmal dahingestellt. Meine Schwester wiederum, die Papa ganz klassisch als Kindergärtnerin oder Hebamme gesehen hatte, studierte Maschinenbau; von uns allen – und besonders von Papa – unbemerkt, hatte ausgerechnet sie nicht nur das Talent, sondern auch Begeisterung und Leidenschaft für Werkzeuge und Werkstoffe entwickelt, die von uns Söhnen keiner teilte, aber die ja auch Papa selbst nicht teilte. Und ich, Papas einstiger kleiner Prinz, ausgerechnet aus mir ist ein Maler geworden, ein Künstler und ein Schwuler, und für ihn muss es so gewesen sein, als wäre ich nicht nur aus der Umlaufbahn seines überkommenen Wertesystems ausgeschert, sondern als hätte ich gleich noch die Galaxis gewechselt. Ausgerechnet ich.
    Mein Coming-out stellte den endgültigen Bruch zwischen uns dar, der durch nichts mehr zu kitten war. Denn auf seine ganz spezielle Art und Weise war es ein absolutes Widersprechen, weil es alle Vorstellungen meines Vaters bezüglich seines einstigen kleinen Prinzen durch den Häcksler jagte und zu Kompostspan zerschredderte, mit dem er bestenfalls noch die Blumenbeete seines kleinbürgerlichen Sittlichkeitsempfindens düngen konnte. Mit Widerspruch aber, das sagte ich bereits, kam mein Vater nicht gut zurecht. Er selbst hatte niemals widersprochen, sondern sich stets seinem eigenen Vater unterworfen, der es wohl gewohnt war, seinen Willen buchstäblich mit stählerner Faust durchzusetzen. Das hatte er wohl noch bei den Nazis gelernt, und zwar nicht bei den Schlägertrupps der SA, sondern bei den Mordkommandos der SS. Opa Heinrich glaubte ebenso an die Überlegenheit der arischen Rasse wie an das Recht des Stärkeren, über die Schwachen zu herrschen. Für ihn war die gesellschaftliche Hierarchie eine Leiter, gezimmert aus gebrochenem Willen, und den Willen seines Sohnes musste er schon ganz früh gebrochen haben. Selbst jetzt nämlich, ein paar Jahre nach Opas verdient schmerzhaftem Tod durch Leberkrebs, allein in einem Krankenhaus, ohne jeden Besuch und Beistand – Papa hatte in jenen Wochen irgendwie immer sehr, sehr viel zu tun – beherrschte er Papas Denken. Zwei Tage nach meinem Coming-out war es, da traf ich Papa zufällig im Hausflur. Wir erstarrten kurz, jeder für sich erschrocken über diese ungewollte Begegnung, starrten uns an, ich bereit zur Flucht, sollte er auch nur ansatzweise seine Hände zu Fäusten ballen. Papa brach das kalte Schweigen zwischen uns nicht mit Schlägen, sondern vertiefte es mit folgendem Hinweis:
    »Du kannst von Glück reden, dass dein Opa schon tot ist. Du weißt, was er mit jemandem wie dir gemacht hätte.«
    Ich nickte, das konnte ich mir nur allzu gut vorstellen: Er hätte seine alten SS-Kumpel angerufen, und zusammen hätten sie für mich hinten in Opas Hühnerstall ein kleines Privat-KZ eingerichtet, wo sie mich vermutlich zu Tode gefoltert hätten. Diesen Nazis mochte das Blut noch so heilig sein, am Ende waren sie doch alle nur elende Blutsäufer.
    »Und du hättest ihm dabei geholfen.«
    Papa zog Leine.
    Nach Opas Tod fanden wir alle Beweise, sorgfältig und sentimental gehütete Memorabilia wie Uniformen und Abzeichen sowie einen ganzen Karton voller Schnappschüsse: immer wieder Opa mit seinen Kameraden und Leichen, ganzen Leichenbergen. Papa hat alles vernichtet, hinten im Garten verbrannt und die verkohlten Überreste tief in der Erde

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