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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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haben, eine scharfe Waffe, zumindest wenn man auf Fett steht. Ich packte die Hefte sorgfältig zurück in ihr Versteck und sah zu, dass ich die Werkstatt ungesehen verließ. Eine Zeit lang berauschte ich mich an den Träumen darüber, wann und wie ich diese Bombe am besten hochgehen lassen könnte. Getan habe ich schließlich nichts dergleichen. So viel Anstand besaß ich dann immerhin doch. Dabei stelle ich mir manchmal sogar vor, es hätte das Verhältnis zwischen uns beiden irgendwie entkrampfen können, wenn ich an diesem Punkt den Hebel angesetzt und mehr Offenheit zwischen uns gewagt hätte. Vielleicht wären wir darüber, über unsere schmutzigen Geheimnisse sozusagen, obwohl meins ja längst kein Geheimnis mehr war, miteinander ins Gespräch gekommen und hätten es am Ende gar noch geschafft, auf dieser Basis ein neues Vertrauensverhältnis aufzubauen. Dann hätten die anderen Familienmitglieder, denen wir natürlich nichts erzählt hätten, ewig gerätselt, was denn zu dieser ominösen Entspannung geführt hätte, und Papa und ich hätten noch einen zusätzlichen Spaß gehabt.
    Aber Träume sind Schäume und dieser ganz besonders. Es kam zwischen ihm und mir zu keiner neuen intimen Einigkeit dank einer solchen geheimen Offenheit. Unser Verhältnis ist ein Trümmerhaufen – im Arsch wie mein eigener gerade oder wie damals nach dem ersten Analverkehr mit Karsten, möchte ich fast sagen, wenn die Erinnerungen daran nicht noch schmerzlicher wären. Zwischen uns herrscht allein die Sprachlosigkeit, die sich, wenn überhaupt, nur mit Vorwürfen, mit neuerlichem Streit überwinden lässt, um hinterher in umso ohrenbetäubendere Stille zu verfallen. Die Jahre meiner Pubertät und bis zum Abitur, die ich unter seinem Dach zu verbringen hatte, schleppten sich als kommunikative Eiszeit dahin, während der er in seine Werkstatt-Bibliothek auswich und ich in mein in ein Atelier umgewandeltes Zimmer. Wir vermieden sorgfältig jeden vermeidbaren Kontakt und sprachen nach Möglichkeit über nichts, nicht einmal über die unverfänglichsten Themen, um nicht Gefahr zu laufen, verschiedener Meinung zu sein oder einem Missverständnis aufzusitzen, was beides schwerwiegende verbale Kriegsfolgen nach sich gezogen hätte.
    Das taten wir nicht, weil es gut gewesen wäre, sondern weil es funktionierte. Leidlich jedenfalls und solange keine wichtige Entscheidung getroffen werden musste. Dann aber kam ich in den dreizehnten Jahrgang und musste zur Musterung und wurde auf den Tauglichkeitsgrad 2 gemustert und sollte mich nun also entscheiden, ob ich wirklich zum Bund oder nicht doch lieber verweigern wollte. Ich hatte zwei ältere Brüder, aber der eine war Asthmatiker und den anderen hatten die Schweine einfach nicht gezogen, deshalb traf es auch noch mich.
    Für meinen Vater lagen die Dinge glasklar. Für mich auch. Der Streit war also vorprogrammiert.
    Die körperlichen Voraussetzungen für den Wehrdienst erfüllte ich. Wenn ich gewollt hätte, ich hätte sofort zum Bund gehen können – und gerade deshalb erwarteten auch alle von mir, dass ich verweigern würde. Zivildienst galt als sicher, Totalverweigerung wurde befürchtet, so, wie ich gestrickt war. Dass ich nicht die geringste Lust dazu verspürte, in einer dieser Kompostieranlagen namens Altenheim irgendwelchen Tattergreisen kurz vor dem Abnibbeln das Essen durch einen Schlauch reinzuwürgen oder den runzligen Arsch abzuwischen oder mich in einem Kindergarten vor einer Horde nerviger Gören zum Affen zu machen, obwohl tägliche stundenlange Prügel den kleinen, schlecht erzogenen Höllenhunden wahrscheinlich viel besser getan hätte, dass ich einfach nicht dafür geschaffen war, etwas zum Wohle der Allgemeinheit zu tun, das hätten meine nahesten Anverwandten allerdings auch wissen müssen. Dennoch gab es ein riesen Hallo, als ich von der Musterung nach Hause kam und erklärte, meinen Wehrdienst ganz normal ableisten zu wollen. Zwangsdienste waren beide, der einzige relevante Unterschied war der, dass man bei der Bundeswehr ein paar Monate kürzer diente. Außerdem wäre man ständig unter Männern, Männern in Uniform. Wenn das keine Aussicht war. Da robbte ich doch lieber durch Schlamm und Schnee und machte nächtliche Gewaltmärsche bei Sturm und Eis und ließ mich von einer schneidig ausstaffierten Hohlbratze anbrüllen als zu verweigern. Ich wollte diese Männerwelt kennenlernen, wollte herausfinden, ob sie genauso hart und ungerecht sein würde wie die bei uns zu

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