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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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Hause. Hinzu kam noch das Handwerk des Tötens, dass man dort erlernte, das mir als wesentlich sinnvollerer Dienst an der Gemeinschaft vorkam als die Pflege menschlichen Siechtums.
    Diese Logik ging meinen Eltern natürlich nicht in den Kopf; meine Mutter vergoss ein paar verzweifelte Tränen, was sie nicht einmal bei meinem Coming-out getan hatte, mein Vater sah mich völlig entgeistert an. In beider Augen stand Erschrecken, echte, unerwartete Sorge um mich. Die aber wusste keiner richtig auszudrücken, alles kam falsch heraus, und ein Wort gab das andere.
    »Hast du denn noch alle Tassen im Schrank?«, zischte mein Vater überrascht.
    »Wieso?« Ich gab mich ganz leutselig.
    »Warum willst du denn zum Militär?«
    »Na, meinen Beitrag leisten. Fürs Vaterland. Weißt doch.«
    »Warum verweigerst du nicht?«
    »Ja, warum verweigerst du nicht? Das würde viel besser zu dir passen«, warf meine Mutter ein, in ein Taschentuch schniefend.
    »Du hast doch auch nicht verweigert«, konterte ich Papas Frage.
    »Bei mir war das was anderes. Ich hatte keine andere Wahl.«
    »Opa hat dich dazu gezwungen.«
    Mein Vater senkte nur den Blick unter meinem eiskalten Starren, während meine Mutter versuchte, wenigstens den Blick von einem von uns beiden aufzufangen. Was wir nicht zuließen, er aus Beschämung, ich aus einem Triumphgefühl heraus. Ich wusste, ich hatte ihn in der Tasche, und diese Genugtuung wollte ich mir durch nichts mehr verderben lassen, schon gar nicht durch einen der einfältigen Einwände meiner Mutter. Ich fuhr genüsslich fort:
    »Und mich würde der alte Nazi sofort an die nächste Wand stellen und erschießen. Oder in der Garage mit den Abgasen seines Volkswagens vergasen, wenn er könnte. Da lern ich doch lieber Schießen, um mich notfalls wehren zu können.«
    »Aber du bist …«, versuchte mein Vater ein letztes klägliches Aufbäumen.
    »Was? Was bin ich?«, hielt ich sofort dagegen. »Eine Schwuchtel?«
    »Sag das nicht. Ich mag das Wort nicht.«
    Ich schnaubte nur.
    »Aber das bin ich doch: eine Schwuchtel. Ein Schwuli. Ein …«
    »Hört doch auf, ihr beiden!«, warf Mama ein, natürlich ohne Gehör zu finden.
    »Du wirst da untergehen!«, brach es als Nächstes aus meinem Vater heraus. »Die machen dich fertig. Jemanden wie dich. Die sind erbarmungslos.«
    Und dieses Mal fühlte sich seine Besorgnis so echt an, dass selbst ich für einen Moment aus dem Tritt geriet und nachdenklich wurde – bis ich begriff.
    »Ach, damit hast du wohl Erfahrung, was?«, fuhr ich ihn wütend an. »Hast du während deiner Zeit beim Bund mit deinen Kameraden auch mal den einen oder anderen Schwulen geklatscht? So als Freizeitvergnügen, was? Schließlich war das immer nur ein einzelner Schwächling, und ihr dagegen wart viele.«
    Ich spuckte ihm diese Worte förmlich ins Gesicht und glaube bis heute, ihn damit voll getroffen zu haben. Ich bin mir sicher, erneut Scham in seinen Augen aufblitzen gesehen zu haben, wenn auch diesmal die des Täters und nicht die des Opfers von vorhin.
    Mein Vater kapitulierte, überführt, geschlagen, endgültig erledigt.
    »Dann mach doch, was du willst. Aber geh mir aus den Augen. Geh auf dein Zimmer.«
    Ich tat, wie mir befohlen war, ein fröhliches Lied auf den Lippen: »Lieb Vaterland, magst ruhig sein …«, und Mama schluchzte dazu den Takt.
    Ich leistete also meinen Wehrdienst ab. Die Zeit stand ich problemlos durch, auch wenn ich ein wirklich schlechter, vor allem unmotivierter Soldat war, hauptsächlich froh darüber, endlich von zu Hause fortgekommen zu sein. Schikaniert wurde ich nicht mehr als die anderen auch, was hauptsächlich daran lag, dass die meisten dieser sogenannten Bürger in Uniform einfach nur ausgewachsene Dummbeutel waren, die in mir, in meinem betont männlichen Verhalten nicht den Schwulen erkennen konnten, sondern nur einen der ihren, den Kameraden. So wurde einzig die grenzenlose Stupidität des Soldatendaseins mir bald schon unerträglich, das ewig leere Rumhängen und Warten auf den nächsten hirnverbrannten Befehl. Und irgendwann wäscht man dann eben auch einen ohnehin schon blitzblank sauberen Panzer noch einmal, bis er so richtig glänzt. Aber noch lieber möchte man sich eigentlich einfach nur betrinken, um den Stillstand der Zeit wegzuspülen. Oder malen. Aber das wäre zu auffällig gewesen, zu verdächtig. Also unterdrückte ich den Impuls, wie ich auch sonst meine Impulse sorgsam unterdrückte, und beschränkte mich darauf, unter der Dusche und

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