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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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nicht der Wahrheit entsprach, wie beiläufig meinte:
    »Die Augenpartie ein wenig runder, die Wangenknochen etwas höher und weniger Haare auf den Kopf und dafür mehr auf die Brust – dann sähe der Kerl mit dem ausgeweideten Torso auf diesem Bild Klaus wie aus dem Gesicht geschnitten aus.«
    Das war gemein, doch es verfehlte seine Wirkung nicht. Sofort stürzte ich mich wieder in die Arbeit, um zu beweisen, dass ich mit allem anderen vielleicht, aber gerade nicht mit meiner Kunst Abbitte leisten wollte. Ich litt an Malfieber, und die Flammen brannten mich innerlich beinahe aus. Schließlich stand ich nur noch mit leeren, glasigen Augen vor der Staffelei, unfähig, mich auf irgendetwas zu fokussieren, hatte vorher bereits vergessen, den Pinsel in die Farbe zu tauchen, und wusste nicht, wo ich ihn überhaupt noch ansetzen sollte, weil ich das Gitternetz der Hilfslinien und die Umrisse der Skizzen nicht mehr erkennen konnte. So konnte es natürlich nicht weitergehen, da hatte selbst der Menschenschinder in meinem Galeristen ein Einsehen. Er nahm mir den Pinsel aus der Hand, führte mich in mein Wohnzimmer, tätigte ein paar Anrufe, öffnete die Tür, als es klingelte, redete, verhandelte mit Gott weiß wem und kam dann zurück zu mir, um mich in meine Küche zu führen und an meinen Küchentisch zu setzen, wo eine fette Pizza mit extra viel Käse auf mich wartete.
    »So, die isst du jetzt«, sagte er und fütterte mich. »Und danach legst du dich hin und schläfst dich mal wieder richtig aus. Außerdem besorgen wir dir eine Putzfrau und Köchin, die dir den Haushalt schmeißt.«
    »Nein, keine Köchin.« Bei der Vorstellung hatte ich das Bild meiner Mutter im Kopf, die hier durch meine privatesten Räume huschte, als wäre ich immer noch ihr kleinster Sohn.
    »Doch«, insistierte mein Galerist. »Sonst isst du nicht regelmäßig. Und wenn du nicht regelmäßig isst, dann fällst du mir noch richtig vom Fleisch und kannst nicht mehr malen. Davon haben wir dann beide nichts, weder du noch ich.«
    »Arschloch.«
    »Ich tu das nicht nur aus Eigennutz, auch wenn du das nur so sehen magst«, erklärte er ungerührt. »Ich tu das auch für dich, denn wenn du nicht mehr malen könntest, dann würdest du doch vollends durchdrehen und entweder dir oder anderen noch etwas antun.«
    Er hatte ja keine Ahnung. Dabei hätte er es eigentlich besser wissen müssen.
    »Keine Köchin«, wiederholte ich.
    »Okay«, lenkte er nach kurzem Nachdenken ein, »aber eine Haushälterin, die für dich Essen bei irgendeinem Lieferservice bestellt, es dir anrichtet und dir notfalls in den Hals stopft, wenn du nicht spurst.«
    »Du bist so ein Schwein«, antwortete ich schwach und stimmte zu.
    Mein Galerist zog triumphierend von dannen, kam aber nun regelmäßig wieder, um mein Befinden zu kontrollieren. Ungebetene Besuche waren es, gegen die ich mich nicht zu wehren wusste. Das ließ ich dann an den Haushälterinnen aus, von denen ich binnen kurzer Zeit drei verschliss. Die vierte blieb dann ein paar Jahre, und heute komme ich wieder ohne aus; heute habe ich nur noch einmal pro Woche eine Putzfrau, damit ich wenigstens mit der Beseitigung meines eigenen Drecks keine Zeit verschwenden muss. Zu meinem Galeristen aber bin ich noch weiter auf Distanz gegangen, und mehr als einmal habe ich seitdem den Tag verflucht, an dem wir uns über den Weg gelaufen sind. Nur von ihm trennen kann ich mich auch nicht, als Verkäufer ist er einfach großartig.
    Von Klaus dagegen möchte ich mich niemals mehr trennen; ihn wenigstens als Mäzen an meiner Seite, in meinem Rücken zu wissen, erfüllt mich mit einem unvergleichlichen Gefühl von Sicherheit und Unterstützung. Von ihm fühle ich mich niemals bevormundet, selbst wenn er mir ungebetene Ratschläge gibt, aus seinem Mund macht jeder Vorschlag Sinn. Bei ihm kann ich mich einfach bedanken, ohne dass es aufgesetzt wirkt oder sich falsch anfühlt. Bei ihm bedanke ich mich gern und gern auch mehrmals für ein und dieselbe Sache.
    Dieses Mal bedankte ich mich mit einer wortlosen Umarmung bei ihm, der ersten seit unserer Trennung.
    Ich setze mich in die Schiffscafeteria, fernab der Panoramafenster, an denen die Touristen wie besoffene Möwen kleben und in die trübe Suppe draußen über dem Wasser starren, als würde dort gleich die Heilige Jungfrau Maria erscheinen und nicht hoffentlich bald Föhr. Viele machen sogar Fotos von dieser Nordseeursuppe, viele mehr als eins. Machen Urlaubsreisen richtig dumm oder nur

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