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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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oder schlecht wie jeder andere Ort auch, um einen Kerl für ein kurzes sexuelles Vergnügen zu finden, wenn man nur weiß, wo man suchen muss. Hinter irgendeinem Deich oder Busch wartet garantiert immer ein Mann, der das Cruisen als Hobby, als Zubrot, aus Leidenschaft oder aus der Not heraus betreibt. Männer sind da immer und überall gleich. Nach Sylt mögen die Schwulen gezielt fahren, weil es sich unter ihnen mittlerweile als sandiges Eldorado herumgesprochen hat, nach Föhr kommen stattdessen eben eher die Familienväter, die verzweifelt oder kaltblütig hoffen, dem lächerlichen Drama ihres Ehelebens wenigstens für die Dauer einer schnellen Nummer zu entfliehen, ihr verleugnetes Selbst zu sein, die Karstens dieser Welt also. Manche von ihnen bringen auch noch ihre pubertierenden Söhne mit.
    Weil mir das Haus mit seinem tief hängenden Reetdach und den kleinen Fenstern, durch die nur wenig Licht drang, Klaustrophobie verursachte – im wahrsten Sinne des Wortes – hielt ich mich die vollen zwei Wochen, die ich als Urlaub eingeplant hatte, darin nur auf, um dann und wann ein wenig zu schlafen. Ich hatte noch überlegt, ob ich mir nicht einfach ein Hotel- oder Pensionszimmer mieten sollte, vielleicht würde das mir die nötige Seelenruhe verschaffen, verwarf die Idee aber schnell wieder. Gleich wieder umkehren und nach Hause fahren kam auch nicht infrage, weil ich dann in beiden Fällen Klaus hätte anlügen müssen, sobald er mich nach meinem Aufenthalt hier befragte – was er auch wirklich tat und wobei ich ihn dann trotzdem anlügen musste, nur eben wenigstens nicht über die Nutzung seiner Kate. Den Rest der Zeit verbrachte ich draußen in der goldenen Herbstsonne oder unter dem zu- oder abnehmenden Mond, dafür hatte ich keinen Blick, weil ich zwanghaft durch Wyk und Umgebung stromerte, die ich aus meinen verschlagen zusammengekniffenen Augen absuchte, um jeden Mann zu mustern, ob er als Sexualpartner geeignet wäre, Alter und Aussehen eher zweitrangig, Hauptsache schnell erreichbar. Ich war auf der Pirsch nach einem geilen Bock.
    Doch gestaltet sich bei aller möglichen Willigkeit der Beute die Jagd darauf schwierig, wenn man zuerst einmal herausfinden muss, wo es überhaupt seinen bevorzugten Weidegrund hat. Denn selbst in Regionen, in denen er nicht so sehr natürlich beheimatet ist wie beispielsweise im Berliner Tiergarten oder den Sylter Dünen, kristallisieren sich im Laufe der Zeit doch irgendwie, sei es durch die geografische Lage, den Wuchs der heimischen Flora oder einfach durch eine Fügung des Schicksalsgottes, immer bestimmte Orte heraus, zu denen der homophile Mann automatisch hinstrebt und auf ein Stelldichein hofft. Ich musste also erst herausfinden, wo diese Orte oder auch nur der eine hier in Wyk war. Bisher hatte mir das gleich sein können, ich war ja immer mit Klaus hier gewesen, da hatte ich keinen anderen Kerl gebraucht. Und so irrte ich an diesem ersten Tag unendlich lange durch Wyks vom Tourismus hässlich aufgeblähte Kleinstadtgassen, über seine Promenaden und Strandabschnitte. Alle Männer, die mir entgegenkamen, waren in Begleitung ihrer Frauen unterwegs, die sich an ihre Arme gehängt hatten, als wären sie aneinander gekettet. Das war so unglaublich frustrierend, zumal ein paar der Typen durchaus gut aussahen und auf mich den Eindruck machten, auch meine Bedürfnisse sehr gut befriedigen zu können.
    Darüber verging der Tag, und als es längst dunkel geworden war, geriet ich, auf dem Weg zurück nach Hause, an den Stadtrand, in jenes Areal der Besiedlung, das zwar noch in Sichtweite der Bebauung liegt, aber zugleich auch schon im ländlichen Bereich. Hinter dem Deich hört man das Meer, Licht kommt nur aus den fernen kleinen Fenstern oder vom Nachthimmel, die Wiesen sind von Entwässerungskanälen durchzogen, und im Buschwerk raschelt der Wind. Es ist ein schöner, ein idyllischer Ort, voller romantischer Ausstrahlung, die sich sowohl für zärtliche Zweisamkeit als auch zum Ausleben eines einsamen Weltschmerzes nutzen lässt, aber gänzlich ungeeignet, um einen Kerl aufzureißen. Es sei denn, dieser Kerl ist genauso unerfahren, was die örtlichen Gegebenheiten angeht, und verzweifelt auf der Suche nach einem Fick wie ich.
    So traf ich den ersten der beiden Kerle, mit denen ich mich auf diesem Trip einließ. Er war Anfang vierzig, vom kleinbürgerlichen Alltag an den Hüften etwas aufgeschwemmt und urlaubsmäßig unrasiert. Plötzlich stand er da, zwischen Buschwerk und

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