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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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primitiv? So oder so, sie scheinen auf jeden Fall der geistigen Degeneration Vorschub zu leisten. Ob jung oder alt, vor den grau verhangenen Panoramafenstern der Wyker Dampfschiffs-Reederei verkommen sie alle wieder zu staunenden Amöben, zu tumben Einzellern, die sich schon über das Nichts erfreuen können, als wäre es ein himmlisches Präsent. Vermutlich erkennen sie sich immerhin darin selbst wieder.
    Ich mache es mir hinten an der Wand bequem, gleich neben einem Heizkörper, der mollige Wärme dick wie Watte absondert. Ich ziehe meine Jacke aus und packe mich stattdessen in diese Strahlung ein. Dazu trinke ich einen heißen Pharisäer. Der Rum darin ist eigentlich viel zu scharf für meinen aufgewühlten Magen, aber etwas Besseres, um auch von innen wieder aufzuwärmen, ist mir einfach nicht eingefallen. Er wirkt. Als würde er die Heizkörperwärme von außen aufgreifen, nach innen transportieren und dort noch um ein Vielfaches verstärken, merke ich, wie ich langsam anfange zu glühen, als hätte ich einen Tauchsieder verschluckt. Ein herrliches Gefühl, herrlich, weil es zugleich auch wieder diese betäubende Müdigkeit an die Oberfläche spült, der der Schlaf auf dem Fuße folgt. Mein Kopf wird schwer, die Müdigkeit zieht ihn wie eine Gravitationskraft auf den Grund der Tischplatte, zieht ihn an den Lidern herunter, während Rum und Kaffee mir in den Schädel steigen wie ein Gas und meine Gedanken einmal mehr schweben lassen. Sie schweben natürlich Föhr entgegen, nur leider nicht dem gegenwärtigen, auf das ich mich freue, sondern einem vergangenen, an das ich lieber nicht zurückdenken möchte. An das erste Mal Föhr ohne Klaus, der mir riet, dort etwas Ruhe zu finden, es zumindest zu versuchen. Ja, Klaus kannte mich schon damals besser, als mir hätte lieb sein sollen. Kann denn jemand wie ich überhaupt irgendwo Ruhe finden, jemand, für den Ruhe so etwas wie das Monster nachts im Schrank ist?
    Mit flatternden Nerven kehrte ich an diese Stätte verlorenen Glücks zurück, doch nur zum kleinsten Teil wegen des Arbeits- und Sexstresses der vorangegangenen Monate. So schön ich Föhr auch fand, je näher ich der Insel wieder kam, allein diesmal, ohne Begleitung, ohne Partner, ohne Anlaufstation, auf die hin ich mich einzig ausrichten konnte, desto stärker dämmerte in mir die Befürchtung, diesem Alleinsein nicht gewachsen zu sein. Was sollte ich auf dieser Insel ohne Liebhaber, der mich in seinen Armen vor allem abschirmte, was Anstrengung bedeutete, was mich sonst zwanghaft antrieb, weil er es ganz lässig und beiläufig verstand, meine immer hungrigen Grundbedürfnisse zu befriedigen, und wenn ich auch nicht malen wollte? Klaus war hier so etwas wie mein Vergil gewesen, der mir erst das Paradies gezeigt und den ich dann im Inferno zurückgelassen hatte – und zu allem Überfluss begleitete mich das schlechte Gewissen deswegen auf diesen ersten Trip zurück wie ein besonders großes zusätzliches Gepäckstück.
    Kaum auf der Insel angekommen, fühlte ich das Alleinsein so grausam auf mich einstürzen, dass ich Magenkrämpfe und Schüttelfrost bekam, die mich so sehr durchwalkten, dass ich mir gleich nach meiner Ankunft erst einmal ein heißes Bad einließ, in der Hoffnung auf körperliche wie seelische Entspannung. Doch das Bad machte alles nur noch schlimmer, die Hitze brachte meinen immer noch leicht zu niedrigen Kreislauf zum Taumeln, mir wurde schwarz vor Augen, Panik überkam mich, ich könnte das Bewusstsein verlieren und in der Wanne ersaufen wie weiland uns Uwe Barschel. Ich könnte ersaufen, weil niemand da war, der mit mir in der Wanne saß, der mich hielt, mich über Wasser hielt. Weil ich Klaus verlassen hatte und sich das mit jedem Tag als schwerster Fehler meines Lebens erwies, der sich niemals wieder korrigieren ließ und für den die Freundschaft mit ihm, so schön sie auch sein mochte, nur ein kaum wirksames Surrogat war.
    Da hockte ich also in dem dampfenden Schaumwasser und umfing meinen schlotternden Leib mit den eigenen dünnen Ärmchen, während um mich herum die Wanne immer größer wurde, das Wasser sich ausbreitete und das rettende Ufer in die Ferne entrückte. Ich brauchte unbedingt einen Rettungsring, um mich vor diesem Ertrinken zu retten, da ich aber in der für mich typischen Überheblichkeit bewusst keine Malutensilien mitgenommen hatte auf diese Reise, fiel mir mal wieder nur eine einzige Beschäftigung ein, die als Ablenkung stark genug war: Sex.
    Föhr ist so gut

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