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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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kirschrotem Samt gebettet, den angekündigten Schlüssel für Klaus’ Föhrer Fischerkate. Er glänzte sauber und neu und zeigte als Gravur die Buchstabenkombination KBF: Klaus Brandstätter Föhr.
    »Ich weiß, hätte ich deinen Namen eingravieren lassen«, erklärte Klaus, als er meinen Blick sah, »dann hättest du den Schlüssel am Ende noch verweigert. So kannst du ihn immer so behandeln, als wäre er nur eine Leihgabe, die du jederzeit zurückgeben kannst.«
    »Danke.« Ich schluckte es mehr, als dass ich es sagte.
    »Keine Verpflichtung also. Nur ein Angebot. Dass du aber trotzdem bald mal annehmen solltest, du siehst nämlich so aus, als bräuchtest du unbedingt etwas Erholung. Frische Seeluft soll da Wunder bewirken, hab ich gehört. Du bist ja nur noch am Malen wie ein Besessener im Schaffenswahn. Du hast auch weiter abgenommen seit unserem letzten Treffen. Du bist nur noch Haut und Knochen und hast Ringe unter den Augen, mit denen man die gesamte Titanic vor dem Untergang hätte retten können. Also lass den lieben Gott einfach mal für ein paar Tage einen guten Mann sein, und fahr raus nach Föhr. Mach mal eine Pause. Deine Folterbilder kannst du danach weitermalen, die laufen dir nicht weg. Von Mitte September bis Anfang November steht das Haus auf jeden Fall leer, im November wird meine Freundin Elvira ein paar Wochen dort verbringen; sie war längere Zeit krank und braucht Erholung. Also nutze die Gelegenheit, mach eine kleine Privatkur und – um Himmels willen! – iss wieder vernünftig. Du siehst aus wie eine Vogelscheuche.«
    Ich blickte einfach nur schuldbewusst zu Boden, wieder einmal fühlte ich mich von ihm durchschaut – und das tat gerade deshalb so weh, weil ich mich so sehr danach sehnte, selbst jetzt noch. Ich nickte und musste heftig blinzeln, bevor ich ihm wieder in die Augen sehen konnte.
    Klaus ging. Er hatte seinen Standpunkt klargemacht und wusste aus Erfahrung, dass er mehr an Zusage aus mir nicht herausbekommen würde. Mehr musste er auch gar nicht tun, die Saat war gesät und keimte auf dem fruchtbaren Boden, den ich bot, beinahe sofort.
    Nachdem ich aus Hamburg getürmt war, hatte ich mich tatsächlich wie ein Irrer in die Arbeit gestürzt. Ich versank in einem Malrausch, der nur unterbrochen wurde von regelmäßiger, zumeist anonymer Prostata-Stimulation; dazwischen ging ich gelegentlich auch noch zur Kunsthochschule. Mit der Malerei beutete ich die kreativen Säfte aus, die mich überschwemmten, und feierte meine Befreiung als echter Künstler, der nun endlich seinen Weg gefunden hatte. Mit dem Ficken aber, das gerne hart und schmerzhaft sein durfte, bestrafte ich mich selbst, um mich so davor zu bewahren, in meinen Schuldgefühlen zu ertrinken. Ich sagte mir, je weniger ich dabei spürte, je mehr Schmerzen es mir bereitete, desto stärker meine Buße. Nichtsdestotrotz genoss ich es viel zu oft. Umso heftiger malte ich dann wieder, umso brutaler und blutrünstiger und manischer. Binnen kürzester Zeit vollendete ich einen Gutteil meiner ›torture porn origins‹-Serie, was meinen Galeristen vor Glück Schaum vor dem Mund bekommen ließ, mich aber nur noch öfter wieder vor die Tür trieb, ins Dunkle, wo ich dem Finsteren in meinem Kopf zu entkommen suchte und wieder nur neue Schwärze fand.
    Ich malte und malte und fickte und malte und fickte und noch einmal im Kreis herum, als wäre Bouguereaus fliegender Dämon persönlich hinter mir her, und vergaß nicht nur in den Darkrooms Berlins die oberste Regel der Selbsterhaltung, sondern auch zu Hause. Dort achtete ich immer seltener auf das Kondom über dem Schwanz, der in mich stieß, hier blieb kaum mehr Zeit zum Essen. Meinen Hunger betäubte ich am ehesten noch mit den chemischen Dämpfen aus meinen Farbtuben und den Flaschen mit Lösungsmitteln, mit dem so erinnerungsfeuchten harzigen Terpentingeruch. Ich magerte ab, mein Kreislauf stand immer öfter kurz vor dem Versagen wegen der ständigen Unterzuckerung. Bald schon war ich zu schwach, einen Pinsel zu halten, mein produktiver Wahn drohte, ins Leere zu laufen.
    In dieser Phase, angelockt wie die Hyäne vom Aasgestank, so schien es mir, suchte mich mal wieder mein Galerist in Berlin heim, um nach dem Rechten zu sehen. Bisher hatte er nichts getan, um mich in meinem kreativen Schub aufzuhalten, mich zu bremsen, damit ich zwischendurch immer mal wieder Kraft schöpfen könnte, im Gegenteil, er hatte immer nur Öl ins Feuer gegossen, etwa wenn er, sehr wohl wissend, dass das

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