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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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Deich, und als wäre es nichts Geringeres als die messianische Erlösung, stürzten wir uns aufeinander. Dennoch hielten wir uns streng an die für solche Begegnungen festgelegten Regeln, trieben es hastig und grunzend miteinander und sprachen erst ein Wort, nachdem wir uns oberflächlich gesäubert, die kaum heruntergelassenen Hosen und den Reißverschluss hochgezogen und die Jacken geschlossen hatten und jeder in seine Richtung abziehen wollte.
    »Morgen wieder hier? So ungefähr um dieselbe Zeit?«, flüsterte er mit der mir altbekannten flehenden Stimme des an den Felsen der Heterosexualität gefesselten Prometheus, nachdem er einmal mehr das göttliche Feuer gestohlen hat.
    »Okay«, antwortete ich und lief davon in der festen Absicht, kein zweites Rendezvous dieser Art mit diesem Typen eingehen zu wollen. Er war schädlich für mich und ich schädlich für ihn, glücklich konnten wir so beide nicht werden, nicht unter diesen Voraussetzungen. Was wir wirklich brauchten, war auf diesem Wege nicht zu erlangen. Das wusste ich, das wusste er, es wäre vernünftig gewesen, sich an das Gebot der Stunde und des Cruisens zu halten und keine Wiederholung zu suchen, nichts zu tun, was Risse in die schützende Rüstung unserer Anonymität sprengen konnte, durch die dann der Wunsch nach Vertrauen und Vertraulichkeit einsickert und die sexuelle Reinheit des Akts vergiftet.
    Am nächsten Abend war ich wieder da. Verspätet, weil ich noch auf dem Weg zum Treffpunkt mit mir gekämpft und gehadert hatte, aber er hatte auf mich gewartet.
    »Ich dachte schon, du kommst nicht mehr«, sagte er.
    Doch anstatt jetzt endgültig die Kurve zu kriegen und mich aus dem Staub zu machen, gab ich die Karten für die nächste Runde des Spiels:
    »Ich komme immer.«
    »Ja?«
    »Ja.«
    »Das will ich sehen.«
    »Dann hör auf zu labern und besorg’s mir endlich.«
    Erst dann schwiegen wir zugunsten des Handelns, aber da war es natürlich längst zu spät. Solche Sachen können nur funktionieren, wenn man sich an das unausgesprochene Redeverbot hält, sich ganz auf diese tierische Art der Körperkommunikation reduziert. Sprache aber ist mit Stimmen verbunden, mit Gefühlen jenseits der reinen Fleischlichkeit, und das erzeugt ein Begehren nach Zuneigung und Wärme, nach allem, was uns erst zu Menschen macht. Dann ist einem das rohe Menschenfleisch bald nicht mehr genug, dann sehnt man sich nach der Würze, die erst Geist und Seele dazutut, selbst wenn man weiß, dass dieser Mensch trotzdem nicht derjenige ist, mit dem man den Rest seines Lebens oder auch nur einen kleinen Abschnitt davon verbringen möchte.
    Wir trafen uns knapp eine Woche lang zu unserem kurzen wilden Ritt durch die Geisterstunde. Das milde Herbstwetter kam uns entgegen, es machte den Sex im Freien nicht zu einer schlotternden Angelegenheit, sondern zu einem erfrischenden Erlebnis. Mir bescherte diese Regelmäßigkeit außerdem zumindest teilweise die erhoffte innere Ruhe, in dem Sinne, dass ich mich dann tagsüber nicht mehr so sehr gezwungen sah, nach dem nächsten Fick Ausschau halten zu müssen. In meiner Unterkunft hielt ich es immer noch kaum aus, in das geborgte Bett legte ich mich nur zum Schlafen, aber jetzt gelang es mir auch mal, mich einfach nur für ein paar Stunden in ein Café zu setzen und ein Buch zu lesen. Zu diesem Zweck hatte ich das Ding ja extra eingepackt, einen der Fälle Kommissar Maigrets aus der Feder George Simenons. Manchmal fand ich die Kellner oder einen der anderen männlichen Cafégäste doch noch spannender, im Großen und Ganzen aber funktionierte die Geschichte. Alles lief so immerhin halbwegs nach Plan, und in dieser ersten Woche hatte ich sogar schon mehrmals das örtliche Wellenbad aufgesucht, um mich nicht nur ständig unter den Duschen und auf den Toiletten herumzudrücken, sondern um tatsächlich auch ein wenig zu schwimmen und mich in den künstlichen Meerwasserwellen treiben zu lassen.
    Alles lief gut so, bis mein nachtschwarzer Hengst unser Schweigegelübde, das nur für Dirty Talk nicht mehr galt, endgültig brach. Wir hatten gerade abgespritzt, er durch meinen Arsch, ich durch seine Hand, und richteten unsere Kleider, er wie immer äußerst akkurat, damit das daheimgebliebene Frauchen, das ihn jeden Abend so mir nichts, dir nichts auf stundenlange Spaziergänge gehen ließ, keinen Verdacht schöpfte. Normalerweise taten wir das schweigend, sobald kein Hautkontakt mehr zwischen uns bestand, drifteten wir auch schon voneinander weg,

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