Die unsicherste aller Tageszeiten
gemeines Verhalten Klaus gegenüber. Dass er heute überhaupt noch mit mir spricht, ist ein echtes Wunder.
Ich gehe in die Schiffscafeteria, dort wird bestimmt noch ein Platz für mich frei sein und ein warmes Getränk auf mich warten.
Rund zweieinhalb Jahre nach unserem letzten gemeinsamen Besuch, ebenfalls im Oktober, nur in einem viel wärmeren, weil in dem Jahr der Sommer verregnet, dafür der Herbst aber golden gewesen war, kam ich das erste Mal allein her.
Vorher, im August jenes Jahres, kam mich Klaus in meiner Wohnung besuchen. Es war erst das zweite Mal, dass er das tat, vorher gab es nur Treffen in Restaurants, Cafés und Bars, und wieder waren wir schnurstracks in meinem Atelier gelandet zwischen meinen neuesten Arbeiten. Normalerweise zeige ich nur ungern meine unfertigen Arbeiten vor, selbst mein Galerist muss in der Regel warten, bis ich sie vollendet habe, ihn aber, ganz offiziell mein Exfreund und guter Freund jetzt, lotste ich gleich dorthin – und sofort entspannten wie uns beide. Mein Atelier, sein lichtdurchflutetes Chaos aus Leinwänden, Staffeleien, Pinseln, Farbtuben und-paletten sowie bunten Farbspritzern und den vielfältigen Gerüchen von entstehender Kunst, die zu einem Gutteil auch aus meinem moschusartigen Schöpferschweiß bestehen, mein Atelier, an dem sich meine Privatperson und mein öffentliches Leben, der Mensch und der Maler grundsätzlich vermischen, das war damals als Ort neutral genug, um einerseits nicht Gefahr zu laufen, zu sehr der alten Intimität zwischen uns zu verfallen, und andererseits eine neue Art der Intimität entstehen zu lassen, die unserer Beziehung gerecht sein würde. Damals kostete es Klaus noch zu viel Überwindung, sich mir wieder anzunähern, während ich zu unterwürfig dankbar auf diesen neuerlichen Gunstbeweis reagierte. Außerdem fühlte ich mich noch immer sexuell sehr von ihm angezogen, eine Anziehung, der ich nur schwerlich widerstehen konnte, und wäre es nicht er gewesen, sondern ein x-beliebiger anderer, ich hätte vermutlich so einiges versucht, ihn noch einmal ins Bett zu kriegen. So waren wir beide zu verspannt und brauchten unbedingt die Bewegung, die mein Atelier bot, um das Gespräch, die Wiederannäherung in Gang zu halten.
Wir waren auch fast durch, ich hatte das Gefühl, er würde gleich aufbrechen wollen, er schien mir sehr erschöpft zu sein von den letzten zwei Stunden des Herumlaufens und Anerkennens der Qualität meiner neuen Arbeiten. Er klatschte auch bereits in seine Hände, was bei ihm immer Zeichen des Aufbruchs ist. Doch anstatt zu gehen, schlug er einmal mehr eine seiner typischen Volten, die ihn auf so aufregende Weise unberechenbar machen. Er klatschte sich nicht in die Hände, um sie mir dann zum Abschied zu reichen oder mich zu umarmen, er vergrub beide in seinen Hosentaschen und suchte etwas darin. In der linken, in der er immer sein Schlüsselbund aufbewahrt, fand er, was er suchte. Er reichte es mir ohne viel Federlesens, trocken und doch herzzerreißend liebevoll.
»Hier«, sagte er. »Nimm und – vor allem – nutze ihn.«
»Was ist das?«, fragte ich und hatte längst nach dem Geschenk gegriffen. Es war ein kleines, kirschrotes Lederetui, verschlossen mit einem Druckknopf. Nicht wirklich geschmackvoll, und vielleicht deshalb dachte ich im ersten Moment, er würde mir jetzt doch noch einen Heiratsantrag machen.
»Der Schlüssel für mein Haus auf Föhr. Ich weiß doch, wie gern du immer dort gewesen bist.«
Ich sah ihn erschrocken an, sah dieses noch viel zu wehmütige Lächeln in seinem Gesicht, das mehr seine Freude über die eigene Überwindung ausdrückte, sich mir gegenüber wieder großzügig zu zeigen, als alles andere. Meine Hände wurden ganz kalt, das Leder schien aus Eis zu sein. Trotzdem dachte ich keinen Moment lang, ich könnte diese Gabe nicht annehmen.
»Warum?«, fragte ich stattdessen.
»Wir kennen uns jetzt lange genug. Ich weiß, dass du verantwortungsvoll mit meinem Eigentum umgehen wirst. Darüber hinaus soll es auch so etwas wie ein Zeichen dafür sein, dass das, was war, Vergangenheit ist. Ich möchte, dass du das weißt.«
Ich glotzte ihn nur sprachlos an.
»Außerdem«, fuhr er, plötzlich verschmitzt lächelnd, fort, »gefalle ich mir in der Rolle des Kunstmäzens. Jetzt öffne es schon, wirf einen Blick drauf und freue dich endlich. Du guckst wie ein Reh im Scheinwerferlicht eines Schwertransporters.«
Also öffnete ich das Etui, klappte es auf und fand, auf ebenfalls
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