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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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»est construit d’acier galvanisée«, sie würde an Stahlseilen unter die Decke gehängt, die wiederum an bewehrten Doppel-T-Trägern befestigt waren, wie ein Heiligenschein. Die Wörter hatten zu ihm zurückgefunden, und Le Corbusier, Lemain und Pingusson lauschten, machten sich Notizen auf ihren gelben Blöcken. Die Schwebekonstruktion ermögliche eine längere Bahn, als wenn die piste auf dem Boden angebracht wäre. Der Sportclub würde die umliegenden Gebäude überragen, die Laufbahn schwebe über den höchsten Stockwerken der Umgebung. Das Dach des Gebäudes sei gleichzeitig die Decke der Schwimmhalle; Andras beugte sich über das Modell und führte vor, wie sie bei gutem Wetter eingezogen werden konnte. Beide Konstruktionselemente, die schwebende Laufbahn und das ausfahrbare Dach, symbolisierten die Grundsätze von Integration und Freiheit.
    Als Andras endete, herrschte Stille im Raum. Er warf einen dankbaren Blick in Richtung von Professor Vago, der sich jedoch nichts anmerken ließ. Dann stellten die Juroren ihre Fragen: Wie verhindere man, dass eine schwebende Laufbahn unter den Schritten der Läufer zu schwingen beginnt? Was würde bei Wind geschehen? Wie schnell könne das offene Dach im Falle eines Unwetters wieder geschlossen werden? Wie wollten sie das Problem lösen, eine hydraulische Anlage im offenen Raum der Schwimmhalle unterzubringen?
    Jetzt flossen die Wörter schneller. All diese Probleme hatten Andras und Polaner stundenlang nachts im Atelier diskutiert. Die tragenden Seile würden mit dünnen Stahlbändern umwickelt, die sie stabilisierten, ohne dass ihre Spannkraft völlig verloren ginge; eine leichte Federung würde die Schritte der Läufer dämpfen. Die Bahn würde mit Stützstreben außen am Gebäude verankert, um Schwingungen zu vermeiden. Und die hydraulische Anlage für das Dach würde in jener kammerartigen Aussparung untergebracht werden. Nachdem sie alle Fragen beantwortet hatten, schienen Pingusson, Lemain und Le Corbusier Stunden zu brauchen, um die Baustoffe zu prüfen und sich Notizen zu machen; selbst Perret bestand darauf, einen näheren Blick auf das Modell zu werfen, vor sich hin murmelnd betrachtete er den Querschnitt einer Außenwand.
    »Und wer sind Sie, Monsieur Lévi?«, fragte Le Corbusier schließlich und schob seinen Stift hinters Ohr.
    »Ich bin Ungar, aus Konyár, Monsieur«, sagte Andras.
    »Aha. Sie sind der junge Mann, der auf einer Kunstausstellung entdeckt wurde. Sie wurden aufgrund von einigen Linolschnitten an der Schule aufgenommen, habe ich gehört.«
    »Ja«, sagte Andras und räusperte sich befangen.
    »Und Sie, Monsieur Polaner?«, fragte Pingusson. »Aus Krakau? Man sagte mir, Sie hätten besonderes Interesse an Technik.«
    »Das stimmt, Monsieur«, sagte Polaner.
    »Nun, ich würde den Entwurf als erstklassig, aber undurchführbar bewerten«, sagte Le Corbusier. »Das Problem ist die Baubehörde. Sie werden die nie dazu bekommen, eine Außenlaufbahn zu genehmigen. Es erinnert mich ein bisschen an das, was Damen im achtzehnten Jahrhundert unter ihrem Kleid trugen. Diese Dinger – wie hießen sie noch gleich? Bordüre? Tourniere?«
    »Eher an eine Art exotischen Hut«, bemerkte Pingusson. »Aber die städtische Fläche ist hervorragend genutzt.«
    »Reichlich abwegig, das Ganze«, sagte Lemain. »Aber das Gebäude selbst ist gut konstruiert. Und die Holzeinfassungen sind ein schönes Element. Erinnert an den Holzboden von Turnhallen.«
    Und mit diesen Worten gingen die Juroren weiter zum nächsten Entwurf. Es war vorbei. Andras und Polaner tauschten einen Blick erschöpfter Zufriedenheit: Ihr Entwurf war, wenn auch unvollkommen, des Lobes würdig gewesen. Als die anderen Studenten an ihnen vorbeidrängten, klopfte Rosen ihnen auf die Schultern und küsste sie auf beide Wangen.
    »Glückwunsch, Jungs«, sagte er. »Ihr habt die erste architektonische Bordüre der Welt entworfen. Wenn ich nicht völlig pleite wäre, würde ich euch beide auf ein Glas einladen.«
    Als Andras am nächsten Morgen durch die blauen Hoftüren hereinkam – dieselbe Schwelle, die er vor knapp zwei Jahren als Anfänger überschritten hatte –, wurde er allseits mit Jubel empfangen. Die Studenten im Hof klatschten und skandierten seinen Namen. Auf einem zerkratzten Holzstuhl in der Ecke des Hofs saß Polaner in großem Staat: Studenten drängten sich um ihn, an seinen Hals hing eine Goldmedaille. Man hatte ihm eine Tricolore um die Schultern gelegt. Ein Fotograf beugte sich

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