Die unsichtbare Pyramide
menschlichen Schraubstock an, aber dadurch rief er nur weitere Gardisten auf den Plan, die ihn noch fester hielten. Stille verbreitete sich im Saal.
»Ein solcher Verstoß gegen die Disziplin darf fürwahr nicht ungesühnt bleiben«, verkündete der Pharao vom Altar her. »Doch heute ist ein Feiertag, an den man noch lange mit Freuden zurückdenken wird. Er soll nicht durch eine Hinrichtung überschattet werden. Es steht dir frei, mein Sohn, diesem Gehorsamsverweigerer eine bleibende Lektion zu erteilen, aber ich stelle zwei Bedingungen: Sein Leben soll verschont werden und du selbst wirst das Urteil vollstrecken.«
Ein Schauer rann über Topras Rücken, als er sah, wie der Dialog zwischen Vater und Sohn, nicht mit gesprochenen Worten, sondern nur mit den Augen fortgeführt wurde. Sein Tod stand wohl nicht das erste Mal zur Debatte. Isfet hatte seinen Sohn schon bei früherer Gelegenheit vor Ibah-Ahitis Mordlust gewarnt: Aus lauter Liebe zu dir könnte sie eifersüchtig auf unseren Kandidaten werden und ihn vor der Zeit töten lassen. Dem Kronprinzen schmeckte, wie Topra von Inukith wusste, das Zögern seines Vaters schon damals nicht. Die Großmut des Pharaos entsprang anscheinend weniger irgendwelchen Vatergefühlen für den Sohn der einstigen Lieblingskonkubine als vielmehr einem handfesten Interesse daran, sich nicht »vor der Zeit« einen Trumpf aus der Hand nehmen zu lassen. Was hatte Isfet nur damit gemeint?
Das stille Ringen zwischen dem Pharao und seinem Thronerben war unterdessen entschieden worden. Aabuwa wandte sich mit selbstgefälligem Grinsen dem Delinquenten zu, der das Corpus Delicti immer noch in der Hand hielt. »Du hast es selbst gehört, Takuba. Der Herrscher von Baqat hält eine ›bleibende Lektion‹ für angemessen. Ich denke, für einen, der die Disziplin der kaiserlichen Elitetruppe untergräbt, muss die Strafe abschreckend genug sein, um ihn und andere auf Dauer von solchem aufrührerischen Tun abzuhalten.« An seine Leibgardisten gewandt fügte der Prinz hinzu: »Haltet seinen Arm gut fest, damit nicht andere zu Schaden kommen, wenn ich ihm die Hand abschlage.«
»Nein!«, schrie Inukith. Sie riss ihre Hände vor den Mund und schüttelte entsetzt den Kopf.
Aabuwa drehte sich zu ihr um. »Gehört dein Herz etwa doch diesem Hochstapler?«
»Ihr wollt auf Eurem Traualtar Blut vergießen und stellt Eurer Braut eine solche Frage?«, stieß Topra hervor, um die Aufmerksamkeit des Prinzen von Inukith abzulenken.
Tatsächlich wandte sich Aabuwa wieder zu ihm um und sagte mit gleich bleibendem Grinsen: »Dumm bist du nicht. Das ist mir gleich am Anfang aufgefallen, als wir dich in unsere Dienste stellten. Ich mache dir ein Angebot. Gib mir den Ehereif und ich wandele deine Strafe in Festungshaft um.«
»Damit würde ich meine Gesundheit dem Leben der Prinzessin vorziehen. Das ist für mich undenkbar«, erwiderte Topra.
Aabuwa lachte leise. »Wenn wir erst deine Hand vom Arm getrennt haben, kannst du den Reif ohnehin nicht mehr festhalten.«
»Das ist wohl wahr. Aber ein mit Blut besudelter Ehereif ist entweiht. Natürlich wisst Ihr das, Hoheit, und würdet nie das Sakrileg begehen, den unreinen Reif Eurer Braut überzustreifen.«
Verunsichert wechselte der Prinz einen Blick mit dem Hohepriester, dessen angedeutetes Nicken Gewissheit brachte: Topra hatte Recht. Ohne sich eine Blöße zu geben, konnte Aabuwa nicht mehr aus dem Spiel aussteigen, das er selbst begonnen hatte. Die Erkenntnis, vor laufenden Kameras von einem wehrlosen Bund-Träger vorgeführt worden zu sein, ließ seinen Jähzorn überkochen. Während seine Rechte sich auf den Griff des Prunksäbels legte, knurrte er: »Wie du willst, Takuba. Dann werden wir den Reif der Prinzessin eben noch einmal der Reinigungszeremonie unterziehen. Denn wir dürfen doch auf keinen Fall das Recht beugen, nicht wahr?« Der Schweiß perlte auf seiner Stirn und die Adern traten weit hervor. Sein Gesicht war hochrot. Es sah tatsächlich so aus, als würde nicht der Ehereif, sondern der Kopf des Prinzen jeden Moment explodieren.
»Tut das nicht!«, warnte Topra in beschwörendem Ton.
»Doch, tu’s!«, fauchte Ibah-Ahiti.
Aabuwa grinste boshaft.
Topra schüttelte langsam den Kopf, als könne er sein Gegenüber damit hypnotisieren. Er war entschlossen sich zu wehren, und was das bedeutete, vermochte sich niemand in der Halle vorzustellen, selbst Hobnaj nicht, der jetzt vermutlich irgendwo auf einen Bildschirm starrte und die Einsicht des
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