Die unsichtbare Pyramide
Prinzen beschwor.
Blitzartig riss Aabuwa den Säbel aus der Scheide – und von nun an geriet die Welt im Großen Säulensaal aus dem Gleichgewicht.
Die breite Klinge raste in einem Halbkreis durch die Luft. Eigentlich hatte der Prinz sie nur zum vollstreckenden Schlag heben wollen, aber das Rundschwert schien mit einem Mal ein Eigenleben zu besitzen. Der unerwartete Schwung, mit dem es in Richtung Altar strebte, überraschte Aabuwa. Als es den Bogen vollendet hatte, entglitt es seiner Hand und raste pfeilgerade davon. Für den Bruchteil einer Sekunde kreuzten sich erneut die Blicke der beiden Kontrahenten und der Prinz wusste, dass seine Herausforderung angenommen worden war.
Ein gellender Schrei ließ Aabuwa herumfahren. »Mutter!«, schrie er entsetzt.
Sein Schwert hatte Ibah-Ahitis Brust durchbohrt.
Die Kaiserin sank, von Isfet und dem Hohepriester gestützt, zu Boden. Ihr Sohn eilte zu ihr und fiel auf die Knie. »Mutter!«, wiederholte er in tiefster Verzweiflung, aber schon war auch Wut in seiner Stimme zu vernehmen. Ibah-Ahiti röchelte etwas, das Topra nicht verstehen konnte. Die Fernsehkameras übertrugen die Bilder live und in Farbe in alle Welt; die Zensurbeamten waren zu schockiert, um die Sendung abzubrechen. Ibah-Ahitis Leib bäumte sich noch einmal auf und erschlaffte dann endgültig.
Auch Topra war erschüttert. Er hatte dem selbst ernannten Henker zwar das Schwert entreißen, aber niemanden verletzen wollen, selbst die Hexe, die Mörderin seiner Mutter nicht. Nutze deine Gaben zum Guten und tue, was getan werden muss. Mein Blut klebt an Ibah-Ahitis Händen und es kommt der Tag, da du es von ihr zurückfordern wirst. Die von Gisa auf dem Sterbebett gesprochenen Worte stießen Topra wie bittere Galle auf. Er hatte den Fluch seiner Mutter erfüllt, ohne es zu wollen… Oder war dieser Gedanke nur Selbstbetrug, eine Schutzbehauptung, um sein Gewissen vor den sich bereits ankündenden Schuldgefühlen abzuschirmen?
Mit einem Ruck riss er sich von seinen Bewachern los. Die Elitesoldaten reagierten träge, von der dramatischen Wendung noch ganz benommen. Alle im Saal blickten zum Altar, wo die Kaiserin den Segen der drei Priester empfing, wo ihr Gatte ihren leblosen Körper mit versteinertem Gesicht auf den Knien hielt, wo sogar Inukith händeringend daneben stand und fassungslos den Kopf schüttelte und wo Aabuwa sich in diesem Moment aufrichtete. Mit zornrotem Gesicht drehte er sich um, in seiner Rechten hielt er den blutigen Rundsäbel.
»Mörder!« Seine eiskalte Stimme war ein Todesurteil und ihr Echo die Zustimmung der Geschworenen.
Topra verstaute den explosiven Ehereif in der Hosentasche und wich hinter die leeren Sessel der Brautleute aus. Ein Wink Aabuwas und die Leibgardisten würden ihre Laserkanonen auf ihn richten. Der Angeklagte schüttelte den Kopf. »Ich habe das Schwert nicht gezogen und es gehört mir auch nicht. Befragt die Zuschauer hier und an den Fernsehschirmen. Jeder kann bestätigen, dass Ihr das Schwert in die Richtung Eurer Mutter geschleudert habt.«
Aabuwa näherte sich aufrecht, jedoch nicht ohne Wachsamkeit. Er schüttelte den Kopf. »Du und ich, wir sind wie zwei Brüder, die dasselbe wollen, obwohl nur einer es bekommen kann. Meine Mutter hat diese Konfrontation vorhergesehen und sie uns beiden ersparen wollen. Du hast sie getötet. Was die anderen sagen, ist mir egal. Wir mögen ihre Sinne täuschen, aber gegenseitig erkennen wir uns doch so deutlich, als wären wir Zwillinge. Lass uns die Augen dieser Unwissenden öffnen, Takuba. Was hältst du davon?«
»Nicht, Aabuwa!«, rief Isfet, aber es war schon zu spät. Der Kronprinz streckte die Hand nach einem der Stühle aus, ohne ihn jedoch zu berühren. Das schwere Möbel stürzte, wie von Geisterhand katapultiert, nach rechts, wo es gegen die Körper einiger Hochzeitsgäste prallte. Schmerzensschreie mischten sich mit Ausrufen des Erstaunens. Schon fiel der zweite Stuhl, diesmal nach links, und zerschellte an einer Säule. Jetzt trennte den wutschnaubenden Prinzen nichts mehr von seinem Kontrahenten.
»Stirb!«, brüllte er und holte beidhändig mit dem Säbel aus. Blind vor Wut hörte er nicht auf seinen Vater, der sich im Hintergrund einmal mehr für Takubas Leben verwendete.
Topras Kopf drohte von einem Prachtsäbel gespalten zu werden. Seine Reaktion war, wie schon beim ersten Angriff des Bräutigams, eher ein Reflex.
Der Prinz fiel in Richtung Decke.
Dank Aabuwas jähen Höhenflugs rauschte die
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