Die unsichtbare Sonne
weiter. Allerdings wäre er nie gekommen, wenn Lalnakh nicht gewesen wäre. Der Kommandeur hatte sich wirklich wie ein Wilder aufgeführt. Gujgengi wußte natürlich, daß die Tiruts nicht mit den Deodaka zu vergleichen waren, hatte sie aber immerhin für einen zivilisierten Klan gehalten. Lalnakh war jedoch über die Flucht der Gefangenen so zornig gewesen, daß … nun, auch Gujgengi wußte, daß der Kaiser nicht eben begeistert sein würde. Um die Familienehre zu retten, hatte er die Vorwürfe des Tiruts entrüstet zurückgewiesen und hatte angeboten, das fliegende Haus zu besuchen. Würde der Kommandeur ihn dabei begleiten? Nein? Ausgezeichnet. Selbstverständlich sprach man nicht gleich davon, damit er es sich nicht anders überlegte, aber später konnte man vielleicht darauf hinweisen, daß der Edelste Lalnakh nicht den Mut gehabt zu haben schien. Die moralische Überlegenheit mußte gewahrt werden, selbst wenn man dabei das eigene Leben riskierte.
Gujgengi schluckte trocken. »Edelster!« rief er.
»Sprechen Sie mit mir?« fragte die blecherne Stimme über ihm.
»Ak-krrr, ja.« Gujgengi hatte sich schon früher demonstrieren lassen, daß dieses fliegende Haus (nein, das richtige Wort dafür hieß Schi’ mit zwei unaussprechbaren Konsonanten am Ende, nicht wahr?) sprechen und denken konnte. Natürlich war auch denkbar, daß die Fremden ihn betrogen hatten, weil in Wirklichkeit noch jemand dort drinnen war. Falls diese Vermutung zutraf, mußte es sich um ein seltsames Wesen handeln, das kaum einen eigenen Willen zu besitzen schien.
»Nun?« fragte Gujgengi, als das Schweigen zu lange gedauert hatte.
»Ich warte darauf, daß Sie weitersprechen«, antwortete das Schi’.
»Ich möchte mich nach Ihren Absichten erkundigen, Edelster.«
»Mir ist noch nicht mitgeteilt worden, was ich beabsichtigen soll.«
»Bis dahin tun Sie nichts?«
»Ich beobachte weiter und halte die Ergebnisse dieser Beobachtungen fest, falls ich später danach gefragt werde.«
Gujgengi atmete erleichtert auf. Genau das hatte er im stillen gehofft. Er nahm allen Mut zusammen und fragte: »Nehmen wir einmal an, Sie beobachten, daß eines der Besatzungsmitglieder in Schwierigkeiten gerät. Was tun Sie dann?«
»Was mir befohlen wird – soweit ich dazu imstande bin.«
»Sonst nichts? Ich meine, krr-ek, würden Sie nicht selbständig handeln?«
»Nur wenn ich mündliche oder verschlüsselte Anweisungen erhalte. Andernfalls wäre die Gefahr eines Irrtums zu groß.«
Gujgengi war jetzt noch erleichterter als zuvor. Deshalb empfand er plötzlich das Bedürfnis, seine intellektuelle Neugier zu befriedigen. Außerdem ließ sich das neue Wissen unter Umständen später verwerten. Schließlich würde das Schi’ noch immer hier stehen, selbst wenn der Ershokh und seine beiden unheimlichen Begleiter den Tod finden sollten. Gujgengi wandte sich an den nächsten Offizier. »Ziehen Sie sich mit Ihren Leuten weiter zurück«, befahl er ihm. »Ich habe hier Geheimnisse zu besprechen.«
Der Tirut warf ihm einen mißtrauischen Blick zu, gehorchte aber schweigend. Gujgengi wandte sich wieder an das Schi’. »Sie sind nicht völlig passiv«, stellte er fest. »Sie beantworten meine Fragen bis zu einem gewissen Grad.«
»So bin ich konstruiert. Ich besitze ein logisches Urteilsvermögen.«
»Ak-krrr, langweilen Sie sich hier nicht ziemlich?«
»Das entspräche nicht meiner Konstruktion. Ich beobachte, werte aus und halte die Ergebnisse fest. Wenn es nichts zu beobachten gibt, befasse ich mich mit Poker.«
»Womit?«
»Poker ist ein Spiel, das in meinem Schiff gespielt wird.«
»Aha. Ich freue mich, daß Sie mir so … uk-k-k … offen antworten.«
»Ich bin angewiesen worden, Ihrem Volk gegenüber freundlich zu sein. ›Angewiesen‹ ist der einzige Ausdruck meines Wortschatzes, der in diesem Fall zutrifft. Ich bin nicht angewiesen worden, Fragen nicht zu beantworten. Folglich entnehme ich daraus, daß ich sie beantworten soll.«
Gujgengi trat aufgeregt näher. »Soll das heißen – verstehe ich Sie richtig, Edelster –, daß Sie alle meine Fragen beantworten?«
»Nein. Da ich angewiesen bin, die Interessen meiner Besatzung zu wahren, schließe ich aus der Anwesenheit Ihrer Soldaten, daß es zu einem Konflikt gekommen ist. Deshalb gebe ich keine Antworten, die Ihrer Seite Vorteile verschaffen könnten.«
Gujgengi zuckte enttäuscht mit den Schultern, als er hörte, daß das Schi’ ihm nicht verraten würde, wie Strahler konstruiert
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