Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
schnappte mir das Gewehr und schaute durch das Zielfernrohr. Der Mann auf dem Bett war schlank und drahtig. Er hatte einen Ziegenbart. Ich nahm das Gewehr aus meinem Gesicht und wischte den Schweiß fort, der mir von den Augenbrauen in die Augen tropfte. Dann schaute ich noch einmal hin. Das Mondlicht fiel auf das erschlaffte Gesicht des Mannes. Das war nicht der Swift. Das war ganz und gar nicht der Swift.
»Du hast recht. Das ist er nicht. Das ist er nicht!«
»Richte das Zielfernrohr weiter auf ihn«, sagte Ernie. »Lass sie nicht glauben, dass du zögerst.« Ich öffnete mein linkes Auge und sah, dass Ernie jedes Fenster und jeden Strauch auf dem Grundstück absuchte. Seine Augen wanderten wie wild umher, während er nach einem Zielfernrohr Ausschau hielt, das auf uns gerichtet war. »Siehst du den kleinen Strauch neben der Klimaanlage, etwa auf elf Uhr?«, flüsterte er mir zu.
Ich sah mich mit meinem linken Auge danach um. Ich sah den Strauch aber sonst nichts. »Ich sehe ihn.«
»Bei drei drehst du dich in diese Richtung und schießt. Ein Schuss. Dann laufen wir davon. Bist du bereit?«
»Nein.«
Er gab mir eine Sekunde. »Bis du jetzt bereit? Schieß!«
Ich drehte mich um und ballerte wie wild auf den Strauch. Durch die Schüsse hindurch hörte ich jemanden fluchen. Ganz in der Nähe feuerte jemand einen Schuss ab. Der Mann auf dem Bett rührte sich nicht. Wir liefen auf die Mauer zu, und es war relativ leicht, sie zu überwinden. Ich hörte einen weiteren Schuss, doch wir hatten die Mauer bereits hinter uns gelassen und liefen zum Wagen. Wir sahen, wie das massive Gusseisentor vor uns aufschwang, und gaben Gas. Bald schon steckten wir auf wunderbare Weise in einem mitternächtlichen Stau in Richtung Stadtmitte. Ich hatte die vielen Menschen immer verflucht. Das werde ich nun eine Zeitlang nicht mehr tun.
Wir kehrten nach Falls Church zurück und erzählten Matt, dass unser Klient seinen Tod vortäuschen wollte. Es schien ihn nicht weiter zu kümmern. »Ihr habt doch das Geld, oder?«
Ernie warf das Bündel mit den Hundertdollarscheinen auf den Glastisch.
»Wunderbar«, sagte Matt. »Und unser Neuer hier hat Lunte gerochen? Das ist phantastisch. Deshalb haben wir dich engagiert, Johnny Boy. Gratuliere. Hol uns doch was vom Chinesen.«
Er versprach, dass keine weiteren inoffiziellen Aufträge folgen würden. Doch es fühlte sich dennoch so an, als wäre es erst der Anfang gewesen und nicht bereits das Ende.
GEÄNDERT AM:
01.04.2059, 04:23 Uhr
»Es sieht so aus, als könnte ich jetzt wieder mit dem Trinken anfangen«
von Sarah Kanell:
Der Pharmariese Delvair hat mittlerweile die letzte Genehmigung der Arzneimittelzulassungsbehörde erhalten und kann nun mit dem Verkauf von genetisch erzeugten Leberimplantaten beginnen. Es handelt sich hierbei um die ersten künstlich erzeugten Organe, die in den Vereinigten Staaten von Amerika auf den Markt kommen.
In ihrer heutigen Pressemitteilung bezeichnet eine Sprecherin von Delvair die Genehmigung als »die letzte Hürde, die überwunden werden musste, um den Weg für eine der größten wissenschaftlichen Entwicklungen in der Ära nach der Entdeckung des Heilmittels gegen das Altern freizumachen.«
Die Genetiker von Delvair versuchten seit beinahe zwei Jahrzehnten, künstliche Leberimplantate herzustellen. Sechs Testpersonen, die sich hatten deaktivieren lassen und schließlich an schwerer Leberzirrhose erkrankt waren, nahmen an einer ersten Studie teil. Drei Jahre, nachdem ihnen die neue Leber implantiert worden war, waren keine Nebenwirkungen oder Reaktionen auf das außerhalb des Körpers erschaffene Organ erkennbar.
»Die Lösung des Problems liegt in der Anpassung«, sagt einer der Genetiker von Delvair in der Mitteilung. »Es war schon immer möglich, menschliche Leberimplantate außerhalb des Körpers in einem Labor zu züchten. Doch nun ist es uns möglich, eine Leber zu erschaffen, die dem genauen genetischen Fingerabdruck des Patienten entspricht, und zwar in einer Zeitspanne, die im Vergleich zum menschlichen Wachstum relativ kurz ist. Wenn Sie also bemerken, dass Ihre Leber nicht mehr richtig funktioniert, dann ist es uns nun möglich, ein exaktes Abbild zu erschaffen, und zwar noch bevor die ursprüngliche Leber vollends versagt. Wir sprechen davon, das Leben Tausender Menschen zu retten – oder vielleicht noch mehr.«
Doch diese neuen Leberimplantate sind äußerst kostspielig. Ein Mitarbeiter von Delvair schätzt inoffiziell, dass
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