Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
uniformierten Männer führten uns die Stufen hinunter in das Wohnzimmer und gaben uns jeweils eine Flasche Wasser. Dann begleiteten sie uns durch einen mit Pinienholz verkleideten Flur, in dem Fotos des Swift mit jeder nur erdenklichen Berühmtheit aus der Film- und Musikbranche hingen. Am Ende des Flurs führte eine weitere schmale Treppe zu einer dicken, schallgedämpften Tonstudiotür. Einer der Männer öffnete sie, und man hörte das dumpfe Geräusch, das erklingt, wenn man eine neue Dose Erdnüsse öffnet. Im Studio saß ein sehr kleiner asiatischer Techniker vor dem Mischpult und spielte an den tausend Reglern vor sich herum. Neben ihm stand Edgar. Er trug blaue Arbeitshosen mit vielen Taschen und ein schlichtes braunes T-Shirt. Ohne seine auffällige Kleidung machte der Swift eine noch bessere Figur. Das Licht aus den Vertiefungen in der Decke fiel auf sein Gesicht und ließ seinen Kiefer markant hervortreten. Er war schlank und so drahtig wie ein Boxer. Er machte sich nicht die Mühe, uns zu bemerken, als wir den Raum betraten. Er war zu sehr damit beschäftigt, sich an seinem Kinnbart zu kratzen.
Der Techniker lehnte sich in seinem Stuhl zurück und drehte sich um, um dem Swift ins Gesicht zu sehen. »Was hältst du davon?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht«, sagte der Swift.
»Ich finde, es klingt abgedroschen.«
»Das sagst du verdammt noch mal immer.«
»Soll ich es noch mal abspielen?«
»Nein, das würde es nur noch verwirrender machen.« Er sah mich an. »Hören Sie viel Hip-Hop?«
»Nicht wirklich«, sagte ich.
»Gut. Hören Sie sich das hier an und sagen Sie mir, was Sie davon halten.« Er gab dem Techniker ein Zeichen, und plötzlich füllte ein stakkatoartiger Beat den Raum, der durch meinen Körper jagte, so dass ich mich wie eine Stimmgabel fühlte. Jeder Beat wurde von einem Trompetenstoß und einem einfachen Gitarrenakkord begleitet, die ineinander flossen. Ich wollte mit dem Kopf zu wippen beginnen, wie es jeder Weiße in dieser Situation getan hätte, doch ich hielt mich zurück. Der Swift drehte die Musik ab. »Und? Was halten Sie davon?«
»Es gefällt mir. Es klingt wie Rock.«
Seine Augen leuchteten auf. Er schnippte mit den Fingern. »Ja, genau. Rock ‘n’ Roll. Genau. Soll ich Ihnen was sagen? Viele Menschen glauben, dass Hip-Hop eine eigene Musikrichtung ist. Das ist es nicht. Hip-Hop ist alle Musikrichtungen zusammen . Es ist eine Ansammlung von Musik. Deshalb wird er niemals sterben. Deshalb gibt es ihn immer noch, obwohl die meisten Weißen ihm schon vor fünfzig Jahren den Tod prophezeit haben.«
»Ist das für Ihr neues Album?«
»Für mein letztes Album. Mein letztes Statement. Dieses Mal gibt es kein Comeback. Deshalb hat es neun gottverdammte Jahre gedauert, bis es fertig war. Hören Sie sich das an …« Er ließ den Techniker ein weiteres Band einlegen. Wieder begann mein Inneres zu vibrieren. »Klingt das Ihrer Meinung nach anders?«
»Ja, dieses Mal war es ein Becken, das mit der Trompete vermischt wurde.«
»Gefällt es Ihnen besser?« Er starrte mich an, um meine Antwort vorab zu erraten.
»Ich weiß es nicht.«
»Nun, das ist Scheiße. Sie sind gefeuert, ich brauche einen anderen Musikbeauftragten.« Er ließ sich wieder in seinen Drehstuhl sinken, nahm sich eine Handvoll Pistazien aus einem Teller in seiner Nähe (überall stand Essen herum) und begann, sie aufzuknacken. »Das hier ist ein verdammter Prozess, Mann. Ein gottverdammter Prozess. Ich mache das hier schon mein ganzes Leben lang, und es wird nicht einfacher. Man erschafft etwas aus dem Nichts, man hat Milliarden Möglichkeiten, wie zum Beispiel die eine, die ich Ihnen gerade vorgespielt habe. Ich könnte noch jahrelang daran arbeiten, und ich wüsste dennoch nicht, ob diese Scheiße irgendeinen Wert hat, bis der Rest der Welt sie gehört hat und mir die Bestätigung gibt, die ich brauche. Ich meine, ich habe nicht die geringste Ahnung. Ich kann den Song lieben und der Meinung sein, dass es der beste Song der Welt ist, aber das bedeutet nicht, dass er die Ärsche der anderen zum Schwingen bringt. Können Sie sich an Fun Dip erinnern?«
»Ich habe diesen Song geliebt«, sagte Ernie.
»Nun, wissen Sie, wie lange ich gebraucht habe, um den Song zu schreiben, aufzunehmen und zu mixen? Zwanzig gottverdammte Minuten. Jason hier hat den Beat dazu gefunden, ich habe den Text geschrieben, und das war’s. Wir hatten bereits fünfzehn Tage lang an einem anderen Track gearbeitet, bis wir über Fun
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