Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
denen immer wieder Eingänge zu den Reihen führen. Ich war so aufgeregt, Alison in meinem Traum wiederzusehen, dass ich auf sie zulief, um sie zu umarmen, und sie dabei unabsichtlich zu Boden stieß. Als ich ihr aufhelfen wollte, blieb sie wie angeklebt am Boden liegen. Egal, wie sehr ich es versuchte, ich konnte sie nicht aus dieser Position befreien. Sie sprach mit mir, doch ich konnte sie kaum verstehen. Als ich mich zu ihr beugte, um sie besser zu hören, verschwand sie. Durch die Tür konnte ich sehen, dass sie nun auf der Bühne stand und sich mit einem Cello in der Hand gemeinsam mit dem Orchester auf den Auftritt vorbereitete. (Im wahren Leben hatte sie, soweit ich weiß, kein Instrument gespielt.) Ich versuchte hineinzukommen, um sie zu sehen, doch der Türsteher wies mich ab, da ich keine Eintrittskarte hatte. Unmengen an Konzertbesuchern drängten sich an mir vorbei und blockierten meine Sicht auf sie. Sie drängten mich immer weiter zurück, bis ich in irgendeinem anderen Land mitten in einem Teich stand. Das Wasser reichte mir bis zu den Knien. Alison war verschwunden.
Es ist nicht bloß mein Unterbewusstsein, das sogar nach so langer Zeit noch Gefallen daran findet, mich mit Gedanken an sie zu quälen. Es ist nun so lange her, dass mein Gehirn unabhängig von dem, was ich ihm befehle, begonnen hat sich vorzustellen, wie unsere Beziehung wohl aussehen würde, wenn sie noch am Leben wäre. Manchmal frage ich mich, ob wir uns mittlerweile auseinandergelebt hätten. Manchmal denke ich, dass die Tatsache, dass sie gestorben ist, der Grund dafür ist, dass ich nie aufhören werde, sie zu lieben. Sie war nicht lange genug bei mir, um mich an ihrer Persönlichkeit und ihrem Aussehen sattzusehen. Jede Beziehung scheint darauf hinauszulaufen. Sie hat es selbst gesagt. Sie hat mich verlassen, gerade als mein Gehirn sie als perfekt abgespeichert hatte. Die Liebe in ihrer Ursprünglichkeit. Ein einziger Blick von ihr reichte, um mich wahnsinnig zu machen. Wir hatten nie genug Zeit, damit dieses Gefühl verblassen konnte. Manchmal frage ich mich, ob das nicht gut war, und verachte mich selbst für diesen Gedanken.
GEÄNDERT AM:
08.06.2059, 02:31 Uhr
»Du hast sechs Schüsse zur Verfügung«
Einer der Nachteile, die Abschiedsinterviews mit sich bringen, ist, dass die Gesprächspartner oftmals nur allzu gern daran teilnehmen. Die Gespräche werden immerhin behördlich gespeichert. Das gibt manchen das Gefühl, der Nachwelt etwas hinterlassen zu können. Also reden sie. Und reden. Und reden. Von Anfang an hatte mich Matt dazu angehalten, dafür zu sorgen, dass mir das Gespräch niemals aus der Hand glitt. Man braucht ein gewisses Talent, um die Gesprächspartner zu unterbrechen und zum eigentlichen Thema zurückzuführen. Diese Aufgabe zu erfüllen ist, wie wenn man lernt, ein guter TV-Moderator zu sein. Auf diese Art verliert man weder Zeit noch Geld. Matt sieht es nicht gern, wenn wir Zeit oder Geld verschwenden. Als Chef des Unternehmens glaubt er, das Recht zu haben, zu tun und zu lassen, was er möchte – und das tut er auch. Ich habe noch nie gesehen, dass er tatsächlich im Büro mitgearbeitet hätte. Meistens versucht er, alte Autoteile zu kaufen oder zu verkaufen. Solche Dinge kann man eben machen, wenn einem der Laden gehört.
Doch Matt hat noch einen liebenswürdigeren Grund dafür, dass er möchte, dass die Abschiedsinterviews so kurz wie möglich gehalten werden sollen. Er möchte nicht, dass Ernie und ich nach Einbruch der Dunkelheit irgendwo festsitzen. Bis zum gestrigen Tag ist uns das auch ganz gut gelungen. Wir hatten kaum Aufträge, die bis nach Einbruch der Dunkelheit dauerten. Zumindest keine in einer üblen Nachbarschaft. Wenn es dunkel wurde, waren wir entweder bereits zu Hause oder im Büro oder in unserem Elektroauto auf dem Weg durch eine sichere Gegend. Es wurde nur ein einziges Mal später, doch da befanden wir uns in Great Falls in Virginia. Das Gespräch dauerte bis nach zehn Uhr abends. Doch das war wie gesagt in Great Falls gewesen. Dort musste man keine Angst vor den Banden haben. Wir übernachteten in unserem Elektroauto innerhalb der Stadtmauern.
Vor vier Tagen wurden wir jedoch zu einem Auftrag in einem Mietshaus im Südosten von Washington DC gerufen. Der Klient war ein Mann mit einem schlechten Rücken und einem Deaktivierungsalter von achtundsiebzig. Er hatte bereits mehrere Operationen an der Lendenwirbelsäule hinter sich und berichtete nur allzu gern von jeder
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