Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
sogar Milliarden.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich so viele brauche.«
»Ich würde sagen, du brauchst zumindest einige. Sie können dir einen Job verschaffen. Einen anständigen Job. Du müsstest nicht mehr als Euthanasie-Spezialist arbeiten. Du müsstest keine Menschen mehr töten und mit dieser Grausamkeit leben. Ich kann es in deinen Augen sehen, und du hast mich erst dreimal angesehen. Ich sehe deine … Resignation. Du hast Fähigkeiten, die du in der Kirche auf eine viel produktivere Art einbringen könntest. Dort draußen gibt es Aufständische, die Menschen ermorden . Trolle, die Menschen verstümmeln und entstellen. Es sind Akte des Bösen. Akte der extremen Grausamkeit gegenüber unseren Mitmenschen. Missachtungen des heiligen Gefäßes. Die Kirche hat eine Mission ins Leben gerufen, die dem ein Ende setzen soll, und du kannst ein Teil davon werden. Sag mir, dass dich das nicht mehr anspricht als das, was du jetzt gerade tust.« David bemerkte die Narbe, die sich unter meinem Ärmel abzeichnete. Er ließ meine Hand los und strich behutsam darüber. »Du kannst gemeinsam mit uns kämpfen.«
Ich wollte einwilligen, doch in Wahrheit fühlte ich mich durch seine Rekrutierungsversuche furchtbar unbehaglich. Ich war in dem Glauben aufgewachsen, dass die Religion ein Schutzmantel ist, den die Leute benutzten, und diesen Glauben wurde ich nie los. Sogar jetzt sträubte ich mich instinktiv, obwohl David so offen und liebenswürdig war. Er sprach mit mir, als wäre ich ein Kunde und kein Blutsverwandter. »Das ist eine Wunde, für die ich mich schon vor langer Zeit gerächt habe«, erklärte ich ihm. »Es hat mir geschadet und auch dir. Mehr, als du dir vorstellen kannst. Ich möchte mich dir anschließen, David. Aber ich kann nicht. Ich bin keine verlorene Seele. Ich bin nicht in meinen neuen Job hineingestolpert. Ich habe ihn mir ausgesucht. Ich habe gesehen, wie sich mein Vater – dein Großvater – deaktivieren ließ und es nachher bereute. Furchtbar bereute. Ich habe miterlebt, wie er sich darüber gefreut hat, dass der Krebs seinen Körper auffrisst, weil er der Meinung war, dass dies die einzige Lösung seines Problems sei. Das wünsche ich niemandem. Es war meine Schuld, dass er sich deaktivieren ließ. Ich habe ihn dazu angestachelt. Ich habe dir noch nie davon erzählt, aber es ist die Wahrheit. Es gibt Menschen, die das Gefühl haben, ein ganzes Leben gelebt zu haben, und die genug haben, und wenn ich derjenige bin, der ihrem Leben ein anständiges und angemessenes Ende bereiten kann, dann finde ich diese Möglichkeit sehr reizvoll. Ich arbeite für Menschen, die das Glück haben, ihr Schicksal zu kennen. Vielleicht erkenne ich endlich mein eigenes Schicksal, indem ich ihnen diene.«
»Du fühlst dich unvollkommen?«
»Immerzu. Und wenn man bedenkt, wie schlecht ich mich als Vater geschlagen habe, werde ich noch sehr, sehr lange auf dieser Erde bleiben müssen, bevor sich das ändert.«
Er sah enttäuscht aus, aber er ließ sich nicht unterkriegen. »Besuche eine Messe. Bloß eine. Geh ohne Vorurteile hin und sieh dir die Kirche an. Wenn es nicht das ist, was du willst, dann auch gut. Ich werde es dir nicht verübeln. Aber ich bitte dich darum, bloß einmal hinzugehen. Damit du siehst, woher ich komme. Ist das ein Angebot?«
Ich nickte. »Natürlich.«
Er stand auf. »Es wird eine Zeit kommen, wo du die Kirche brauchen wirst. Ich weiß, du glaubst, das sei alles Bockmist, aber es ist die Wahrheit. Es ist genau das, wonach du suchst. Und wenn die Zeit gekommen ist, dann werde ich da sein, um dich willkommen zu heißen. Das verspreche ich dir. Die Kirche ist die Zukunft der Menschheit.« Er streckte mir seine Hand entgegen, und ich schüttelte sie. »Ich wünsche dir nichts als Gelassenheit.«
Er ging hinaus, und mein Körper entspannte sich. Ich nippte an dem Bier und fühlte mich wieder mehr wie ich selbst. Gelöst. Ich wollte so schnell wie möglich nach Hause nach Virginia.
GEÄNDERT AM:
03.06.2059, 04:35 Uhr
Bühne frei für Alison
Ich habe wieder von Alison geträumt. Wenn ich von ihr träume, ist sie nie die erwachsene Frau, die gelernt hat, mich zu lieben, kurz bevor sie starb. Ich sehe immer das Mädchen aus der achten Klasse, das Mädchen, das mich abgewiesen hatte, egal wie verzweifelt ich versuchte, ihre Gunst zu erlangen. Heute Nacht traf ich sie in einem leeren Theater. Wir befanden uns außerhalb des Zuschauerraums in einem dieser mit rotem Samt ausgekleideten Flure, von
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