Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
Körper und die gleiche ungesunde Röte im Gesicht, wie auch er sie hatte. Wie konnte sie nur so dick werden? dachte er, während er sie umarmte und merkte, wie ihr Haar nach Rauch und Fett stank.
Er war einmal in sie verliebt gewesen. Jetzt wollte er sie so schnell wie möglich loswerden, wollte gar nicht hören, was sie von ihrem Leben erzählte, wie alles schiefgegangen war, Mann und Arbeitsplatz gleichzeitig, Herzinfarkt undBluthochdruck, ach ja, er war doch Arzt, habe aber schon genug Patienten, wie er sagte, und es sei besser zu bleiben, wo sie war.
Und dann flüchtete er und bereute es gleich drauf, weil er sich so schäbig vorkam, so primitiv, immer noch fixiert auf die Hochglanzbilder der Jugend. Solrunn Plesner sollte immer noch die Frau sein, in die er sich verlieben könnte.
Das war doch fürchterlich unreif, dachte er. Ein ernster Charakterfehler. Und jetzt saß Mildred Låtefoss vor ihm und brachte ihn dazu, diesen Erinnerungstümpel aufzuwühlen, in dem es einmal viele Wellen gegeben hatte und der jetzt so lange still und ruhig dagelegen hatte. Er dachte kaum mehr an die Vergangenheit, vor allem, weil ihm die Zeit dazu fehlte, dachte nicht daran, daß er und Mildred einst auf einem Klassenfest miteinander geknutscht hatten, daß sie ihm bei verschiedenen Anlässen deutlich signalisiert hatte, daß sie für ihn verfügbar war, wenn er das wollte.
»Was führt dich zu mir?« fragte er und betrachtete die hochgewachsene Frau, die wie er Medizin studiert hatte und die später ihm gegenüber immer sehr aufmerksam gewesen war, ihm Weihnachtskarten und Geburtstagsgrüße geschickt hatte. Er wußte, daß sie Kardiologin am Rikshospital war, daß sie gut verheiratet war, zwei Kinder hatte, im selben Alter wie die seinen, daß sie regelmäßig in Fachzeitschriften publizierte. Merkwürdig, dachte Thomas Brenner, daß sie jetzt zu ihm kam, während er dieses Herzjagen hatte.
Er überlegte einen Moment, ob er ihr davon erzählen sollte, begriff aber schnell, wie unprofessionell das sein würde. Er hatte genügend Kollegen, die so sehr von sich eingenommen waren, daß sie mit ihren Patienten von demsprachen, was sie beschäftigte, unfähig anzuhören, was der Patient eigentlich sagen wollte. Mildred Låtefoss hatte, indem sie zu ihm kam, gezeigt, daß sie ihm vertraute. Er stellte fest, daß sie die ersten grauen Haare bekam. Sie stand vor derselben Wahl wie Elisabeth, färben oder hinnehmen, das Altern verbergen oder dazu stehen. Er war schon grau, bevor er vierzig Jahre alt wurde.
»Ich komme nicht als Patientin«, sagte sie mit einem Lächeln, »möchte dir aber etwas ins Ohr flüstern.«
Thomas Brenner wurde unruhig. Es gefiel ihm nicht, wie dieses Gespräch anfing.
»Mir etwas zuflüstern?«
»Ja. Es warten zwar draußen noch viele, aber fünf Minuten hast du doch für mich?«
Er nickte und hörte sie reden. Er war so beschaffen, dachte er, daß andere, sobald er in der Nähe war, das Bedürfnis hatten, zu erzählen. Mildred Låtefoss fragte ihn zwar schon, wie es ihm gehe mit der Arbeit und zu Hause, aber bevor er auch nur ansetzen konnte zu einer Antwort, war sie bereits bei ihrem Thema, der Zusammenarbeit der Krankenhäuser. Nach einigen schlimmen Jahren mit viel Hin und Her hatte man endlich beschlossen, die Arrhythmienabteilungen des Ullevål-Krankenhauses und des Rikshospitals zusammenzulegen. Das sei für alle Beteiligten von Vorteil, meinte sie.
Er nickte und spürte, daß sein Herz immer noch hämmerte. Es wäre eine Ironie des Schicksals, wenn er irgendwann auf dem Operationstisch von Mildred Låtefoss landen würde. Sie redete weiter, flüsterte keineswegs wie angekündigt.
Er musterte sie dabei und dachte, daß er froh war, daß sie nie ein Paar geworden waren, was ohne weiteres hätte geschehen können, so interessiert wie sie immer an ihmgewesen war. Elisabeth, im Gymnasium zwei Klassen über ihnen, hatte Mildred in den ersten Jahren als Bedrohung empfunden, obwohl Elisabeth stärker gewesen war, reifer, schöner, alles. Jetzt war das eher umgekehrt, dachte Thomas Brenner wehmütig. Elisabeth hatte verloren, während Mildred an Selbstwert gewonnen hatte. Dieser Gedanke quälte ihn.
Er wußte nicht, wieviel Schuld er daran trug, daß Elisabeth wesentlich schwächer und auch unsicherer wirkte als zu Beginn ihrer Beziehung. Er hatte das bei so vielen Paaren beobachtet, daß der eine Teil den andern fast völlig vereinnahmte, den Partner in einen Schatten verwandelte. Er hatte sich
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