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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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in der eisernen Lunge, die ihm das Atmen abnahm, und seither war er Dauergast in den Kliniken.
    Seit der Kinderlähmung war er am Hals und an den Armen teilweise gelähmt, und die geschädigten Nerven verursachten ständig Schmerzen. Er trug immer einen Schal, ganz gleich, wie das Wetter war – die Wärme linderte den Schmerz.
    Nachdem ich ihm erklärt hatte, warum ich hier war, zeigte er die Straße hinauf und hinunter. »In Lacks Town sind alle mit Henrietta verwandt, aber sie is so lange weg, da is sogar die Erinnerung schon fast tot«, sagte er. »Alles von Henrietta is tot, außer diesen Zellen.«
    Er deutete auf mein Auto. »Stellen Se das laute Ding ab, und kommen Se rein. Ich geb Ihnen’n bisschen Saft.«
    Seine Eingangstür führte in eine winzige Küche mit einer Kaffeemaschine, einem antiquierten Toaster und einem alten, mit Holz beheizten Herd, auf dem zwei Kochtöpfe standen. Der eine war leer, der andere voller Bohneneintopf. Die Küchenwände waren in dem gleichen dunklen Olivgrün gestrichen
wie die Außenseite des Hauses und mit Mehrfachsteckdosen und Fliegenklatschen vollgehängt. Zwar hatte er kürzlich fließendes Wasser bekommen, bevorzugte aber nach wie vor die Außentoilette.
    Obwohl Cootie die Arme kaum bewegen konnte, hatte er das Haus selbst gebaut. Er hatte die Sperrholzwände zusammengenagelt und sie von innen verputzt. Aber er hatte die Isolierung vergessen: Also riss er die Wände kurz nach der Fertigstellung wieder ein und fing noch einmal von vorn an. Ein paar Jahre später brannte alles ab, weil er unter einer elektrischen Heizdecke eingeschlafen war, aber auch dieses Mal baute er das Haus wieder auf. Er erklärte, die Wände seien vielleicht ein wenig schief, aber er habe so viele Nägel verwendet, dass sie bestimmt nicht zusammenbrechen würden.
    Cootie drückte mir ein Glas roten Fruchtsaft in die Hand und schob mich aus der Küche in sein düsteres, holzvertäfeltes Wohnzimmer. Dort gab es kein Sofa, sondern nur ein paar metallene Klappstühle und einen am Boden festgeschraubten Friseurstuhl, dessen Polster über und über mit Isolierband verklebt waren. Cootie war jahrzehntelang der Friseur von Lacks Town gewesen. »So ein Stuhl kostet heute zwölfhundert Dollar, aber damals hab ich ihn für acht gekriegt«, rief er aus der Küche. »Haareschneiden hat einen Dollar gekostet – manchmal sind an einem Tag achtundfünfzig Leute gekommen.« Schließlich hatte er den Beruf aufgeben müssen, weil er beim Schneiden die Arme nicht mehr lange genug anheben konnte.
    Aus einem kleinen Gettoblaster, der an der Wand stand, dröhnte eine Gospelshow mit Hörerbeteiligung. Ein Prediger kreischte etwas von einem Anrufer, der Hepatitis hatte und vom Herrn geheilt worden sei.
    Cootie stellte einen Klappstuhl für mich auf, dann ging er in sein Schlafzimmer. Mit einem Arm hob er die Matratze hoch,
stützte sie mit dem Kopf ab und fing an, in Papierstapeln zu wühlen, die darunter versteckt waren.
    »Hier irgendwo hatt ich was über Henrietta, das weiß ich genau«, murmelte er unter der Matratze. »Wo hab ich das bloß hingetan? … Wissen Se, dass andere Länder sie für 25 Dollar kaufen, manchmal auch für 50? Aber ihre Familie hat von dem ganzen Geld nix gesehn.«
    Nachdem er die Papiere – es schienen Hunderte zu sein – durchgesehen hatte, kam er wieder ins Wohnzimmer.
    »Das hier is das einzige Bild, was ich von ihr hab«, sagte er und zeigte auf eine Kopie des Artikels aus dem Rolling Stone: das allgegenwärtige Foto mit den in die Hüften gestützten Händen. »Ich weiß nich, was da steht. Hab keine Bildung, musste mir alles selber beibringen. Aber rechnen konnte ich nie, und lesen oder meinen Namen schreiben kann ich kaum, meine Hand is so zittrig.« Er fragte, ob in dem Artikel etwas über ihre Kindheit in Clover stünde. Ich schüttelte den Kopf.
    »Henrietta haben alle gemocht, weil sie war ein toller Mensch«, sagte er. »Sie war immer richtig lieb, hat immer gelächelt, hat sich immer um uns gekümmert, wenn wir zu ihr gekommen sind. Sogar als sie schon krank war, hat sie nie gesagt ›Ich fühl mich mies, und das lass ich jetzt an euch aus‹. So war sie nich, nich mal, als sie Schmerzen hatte. Aber ich glaub, se hat nich kapiert, was mit ihr los war. Sie wollt nich glauben, dass sie sterben musste.«
    Er schüttelte den Kopf. »Wissen Se, die ham gesagt, wenn wir jetzt alle Stücke von ihr zusammensetzen würden, dann würde se über achthundert Pfund wiegen. Und Henrietta war

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