Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
Vom Netzwerk:
kein großes Mädchen. Sie war ja noch am Wachsen.«
    Während Cootie sprach, kreischte der Radioprediger im Hintergrund immer und immer wieder »Halleluja!«.
    »Sie hat sich um mich gekümmert, als die Kinderlähmung bei mir so schlimm geworden is«, erzählte er. »Sie hat immer gesagt,
sie würd das schon hinkriegen. Sie konnte mir nich helfen, weil ich hatte es schon, bevor se krank geworden is, aber se hat gesehn, wie schlimm es geworden is. Ich glaub, deshalb ham se ihre Zellen gebraucht, damit andere Leute es loswerden.« Er hielt inne. »Hier in der Gegend kapiert keiner, wie sie tot sein kann und das Zeug lebt noch. Das is’n richtiges Rätsel.«
    Er sah sich im Zimmer um und machte eine Kopfbewegung in Richtung des Zwischenraumes zwischen Wand und Decke. Dort hatte er getrockneten Knoblauch und Zwiebeln hineingestopft.
    »Wissen Se, die machen so einiges mit den Menschen«, sagte er, wobei seine Stimme zu einem Flüstern wurde. »Sie wissen doch, was ich meine, oder?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Wodu«, flüsterte er. »Manche Leute sagen, Henriettas Krankheit und ihre Zellen sind von Männern oder Frauen gemacht, andere sagen, sie sind von Ärzten gemacht.«
    Während er noch sprach, wurde die Predigerstimme im Radio immer lauter und sagte: »Der Herr, Er wird euch allen helfen, aber ihr müsst mich jetzt sofort anrufen. Wenn meine Tochter oder Schwester Krebs hätte! Ich würde sofort zum Telefon greifen, denn die Zeit läuft ab!«
    Cootie übertönte das Radio. »Die Ärzte sagen, sie haben nie von’nem Fall wie Henrietta gehört! Das war bestimmt von Menschen oder Geistern gemacht, eins von beiden.«
    Dann erzählte er mir von den Geistern, die in Lacks Town manchmal die Häuser heimsuchten und Krankheiten verursachten. Er sagte, er habe in seinem Haus einen männlichen Geist gesehen. Er habe manchmal hinter dem Herd an der Wand gelehnt, manchmal auch neben dem Bett. Aber der gefährlichste Geist, so erklärte er mir, sei das mehrere Tonnen schwere kopflose Schwein, das er vor Jahren ohne Schwanz
durch Lacks Town habe streifen sehen. Von seinem blutbefleckten Hals hätten zerbrochene Glieder einer Kette gehangen, die habe es auf dem Feldweg hinter sich hergezogen, und sie hätten beim Laufen geklirrt.
    »Ich hab gesehen, wie das Ding über die Straße zum Familienfriedhof gegangen is«, erzähle Cootie. »Der Geist hat mitten auf der Straße gestanden, und die Kette is im Wind hin und her gependelt.« Der Geist habe ihn angesehen und mit dem Fuß aufgestampft, so dass rund um ihn roter Staub aufwirbelte, und sehr angriffslustig sei er gewesen. Genau in diesem Augenblick sei ein Auto mit nur einem Scheinwerfer die Straße entlanggerollt gekommen.
    »Da is das Auto gekommen, hat das rechte Licht auf ihn geworfen, und ich schwöre, es war ein Schwein«, sagte Cootie. Dann sei die Erscheinung verschwunden. Er war überzeugt, das Auto habe ihn vor irgendeiner neuen Krankheit gerettet.
    »Na ja, ich weiß nich genau, ob’n Geist Henrietta gekriegt hat oder ob’s’n Arzt war«, fuhr Cootie fort, »aber ich weiß, dass ihr Krebs kein normaler Krebs war.’n normaler Krebs wächst nämlich nich weiter, wenn man tot is.«

11
    »Der Schmerzteufel persönlich«
    I m September hatten die Tumore von Henriettas ganzem Körper Besitz ergriffen. Sie waren am Zwerchfell, an der Blase und an der Lunge gewachsen, verschlossen den Darm und ließen ihren Bauch anschwellen, als wäre sie im sechsten Monat. Da die Nieren keine Giftstoffe mehr ausschieden, bekam sie eine Bluttransfusion nach der anderen. Dennoch war ihr durch die innere Vergiftung ständig übel. Sie bekam so viel Fremdblut, dass ein Arzt schließlich in die Krankenakte schrieb, man müsse alle Transfusionen einstellen, »bis die Fehlmengen in der Blutbank wieder aufgefüllt sind«.
    Als Henriettas Vetter Emmett Lacks von jemandem in Sparrows Point hörte, dass Henrietta krank war und Blut brauchte, warf er sofort das Stahlrohr beiseite, das er gerade schneiden sollte, und lief los, um seinen Bruder und ein paar Freunde zu suchen. Sie waren Arbeiter mit Stahl und Asbest in der Lunge, Schwielen an den Händen und rissigen Fingernägeln von der jahrelangen harten Maloche. Alle hatten bei Henrietta auf dem Fußboden geschlafen und ihre Spaghetti gegessen, als sie vom Land nach Baltimore gekommen waren, und auch später immer, wenn das Geld knapp war. Sie war mit ihnen in der Straßenbahn nach Sparrows Point und zurück gefahren, damit sie sich während

Weitere Kostenlose Bücher