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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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Medikamente und Therapien mit Ausnahme der Schmerzmittel abgesetzt.« Zwei Tage später wachte Henrietta verängstigt und orientierungslos auf; sie wollte wissen, wo sie war und was die Ärzte mit ihr gemacht hatten. Für kurze Zeit vergaß sie sogar ihren Namen. Wenig später teilte sie Gladys mit, dass sie bald sterben werde.
    »Du sorgst dafür, dass Day sich um die Kinder kümmert«, sagte sie zu ihrer Schwester, während ihr die Tränen übers Gesicht liefen. »Vor allem um meine kleine Deborah.« Als Henrietta ins Krankenhaus kam, war Deborah wenig mehr als ein Jahr alt. Henrietta hatte vorgehabt, sie auf den Arm zu nehmen, ihr hübsche Kleidung anzuziehen und ihr die Haare zu flechten, ihr beizubringen, wie man sich die Fingernägel lackiert, die Haare zu Locken legt und mit Männern umgeht.
    Aber nun blickte sie Gladys an und flüsterte: »Pass auf, dass den Kindern nichts Schlimmes passiert, wenn ich nicht mehr da bin.«
    Dann drehte sie sich um, wandte Gladys den Rücken zu und schloss die Augen.
    Gladys schlich sich aus dem Krankenhaus und stieg in den Greyhound zurück nach Clover. Am Abend rief sie Day an.
    »Henrietta wird heute Nacht sterben«, sagte sie zu ihm. »Sie will, dass du dich um die Kinder kümmerst – ich hab ihr versprochen,
dass ich es dir sage. Pass auf, dass ihnen nichts passiert.«
    Henrietta starb am 4. Oktober 1951 um 0 Uhr 15.

Teil 2
    Tod

12
    Der Sturm
    O bwohl es keinen Nachruf auf Henrietta Lacks gab, erfuhr man in Geys Labor schnell von ihrem Tod. Sie lag schon im »farbigen« Gefrierschrank, als Gey ihre Ärzte fragte, ob sie nicht eine Obduktion vornehmen wollten. Gewebekulturexperten auf der ganzen Welt waren darum bemüht, eine Bibliothek mit unsterblichen Zellen wie denen von Henrietta anzulegen, und Gey wollte Proben von möglichst vielen ihrer Organe gewinnen. Würden sie wachsen wie die HeLa-Zellen? Bevor man aber – nach ihrem Tod – solche Gewebeproben entnehmen konnte, musste Henriettas Mann um Erlaubnis gebeten werden.
    Kein Gesetz und kein Ethikkodex verlangt von den Ärzten, dass sie um Erlaubnis fragen, bevor sie einem lebenden Patienten Gewebe entnehmen. Bei einem Toten aber besagt das Gesetz klipp und klar, dass eine Obduktion oder die Gewebeentnahme ohne Einwilligung illegal ist.
    Soweit Day sich daran erinnert, rief jemand vom Hopkins an, teilte ihm mit, dass Henrietta gestorben sei, und bat um die Genehmigung für eine Obduktion. Day sagte nein. Als er einige Stunden später mit einem Vetter ins Hopkins kam, um seine tote Frau zu sehen und ein paar Papiere zu unterschreiben, fragten die Ärzte ihn noch einmal wegen der Obduktion. Sie erklärten, sie wollten Untersuchungen vornehmen, die seinen Kindern eines Tages helfen könnten. Days Vetter gab zu bedenken, dass es nicht wehtun würde, und so stimmte Day schließlich zu: Er unterzeichnete das Einwilligungsformular für die Obduktion.
    Wenig später lag Henriettas Leiche in einer Leichenkammer
im Keller des Krankenhauses auf einem Edelstahltisch. Mary, Geys Assistentin, stand im Eingang; sie atmete schwer und hatte das Gefühl, sie würde gleich ohnmächtig. Sie hatte noch nie eine Leiche gesehen. Nun war sie hier mit einer Toten, einem Stapel Petrischalen und dem Pathologen Dr. Wilbur, der sich über den Obduktionstisch beugte. Henriettas Arme waren ausgestreckt, als wollte sie über ihren Kopf greifen. Mary trat an den Tisch und flüsterte dabei: Du wirst dich hier nicht zum Idioten machen und umkippen.
    In der Höhe von Henriettas Achselhöhle nahm sie ihren Platz neben Wilbur ein. Er sagte hallo, und Mary erwiderte seinen Gruß. Dann schwiegen beide. Day wollte, dass Henrietta für die Bestattung ansehnlich aussah, deshalb hatte er nur die Genehmigung für eine Teilobduktion gegeben. Das bedeutete, dass kein Schnitt in den Brustkorb vorgenommen wurde und dass der Arzt weder Gliedmaßen noch den Kopf entfernte. Mary öffnete eine Petrischale nach der anderen und hielt sie so, dass sie die Proben einsammeln konnte, die Wilbur aus Henriettas Körper schnitt: Blase, Darm, Gebärmutter, Niere, Vagina, Eierstock, Blinddarm, Leber, Herz, Lunge. Nachdem er jede Probe in eine eigene Petrischale hatte fallen lassen, gab er Stücke des von Tumoren bedeckten Muttermundes in Gefäße mit Formaldehyd, um sie darin aufzubewahren, bis sie weiterverwendet wurden.
    Die offizielle Todesursache war Urämie im Endstadium: Blutvergiftung durch die angehäuften Giftstoffe, die normalerweise mit dem Urin aus dem Organismus

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