Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
ich versuchte, mich mit der Geschichte der Zellkultur und der komplizierten ethischen Diskussion über die Verwendung menschlichen Gewebes in der Forschung vertraut zu machen, wurde ich der Verschwörung bezichtigt, und man ließ mich sowohl im buchstäblichen als auch im übertragenen Sinn gegen die Wand laufen. Am Ende lernte ich dann Deborah kennen, und sie erwies sich als eine der stärksten, zähesten Frauen, die mir jemals begegnet sind. Zwischen uns entwickelte sich eine tiefe persönliche Bindung, und allmählich, ohne dass ich es bemerkte, wurde ich ebenso Teil ihrer Geschichte wie sie in meiner.
Deborah und ich stammen aus ganz unterschiedlichen Milieus: Ich bin als weiße Agnostikerin im Nordwesten der USA an der Pazifikküste aufgewachsen; meine Wurzeln liegen zur Hälfte bei New Yorker Juden und zur anderen Hälfte bei Protestanten
aus dem Mittleren Westen. Deborah dagegen war eine zutiefst gläubige Christin aus dem Süden. Wenn das Gespräch auf Religion kam, wäre ich immer am liebsten aus dem Zimmer gegangen, denn bei dem Thema fühlte ich mich unwohl; Deborahs Familie hatte es sehr mit Predigten, Wunderheilungen und manchmal auch mit Wodu. Sie war in einem Farbigenviertel aufgewachsen, das zu den ärmsten und gefährlichsten im ganzen Land gehörte; meine Heimat war ein sicheres, ruhiges Wohnviertel der Mittelschicht in einer vorwiegend von Weißen bewohnten Stadt, und auf meiner Highschool waren gerade einmal zwei farbige Schüler. Ich war Wissenschaftsjournalistin und neigte dazu, alles Übernatürliche als »Wuwuzeugs« zu bezeichnen; Deborah ihrerseits glaubte, dass Henriettas Seele in ihren Zellen weiterlebte und Einfluss auf jeden hatte, der ihr über den Weg lief. Also auch auf mich.
»Wie soll man denn sonst erklären, dass dein Naturkundelehrer ihren richtigen Namen kannte, obwohl alle anderen sie Helen Lane nennen?«, fragte Deborah. »Sie wollte dich auf sich aufmerksam machen.« Die gleiche Denkweise wandte sie auf alles in meinem Leben an: Als ich heiratete, während ich an diesem Buch schrieb, tat ich es nach ihrer Ansicht nur deshalb, weil Henrietta wollte, dass sich jemand während der Arbeit um mich kümmerte. Als ich mich scheiden ließ, hatte sie entschieden, dass mein Mann dem Buch im Weg stand. Als ein Lektor darauf bestand, die Familie Lacks aus dem Buch herauszulassen, und dann bei einem Unfall auf rätselhafte Weise verletzt wurde, erklärte Deborah: »Das kommt davon, wenn man auf Henrietta scheißt.«
Die Familie Lacks stellte alles infrage, was ich über Glauben, Wissenschaft, Journalismus und Rasse zu wissen meinte. Das Ergebnis ist dieses Buch. Es handelt nicht nur von den HeLa-Zellen und Henrietta Lacks, sondern auch von Henriettas Familie – insbesondere von Deborah – und ihren lebenslangen
Bemühungen, mit der Existenz dieser Zellen und der Wissenschaft, die zu einem großen Teil auf ihr beruht, Frieden zu schließen.
Deborahs Stimme
Wenn die Leute fragen – irgendwie fragense immer, da kommste gar nich drumrum -, dann sag ich: Ja, stimmt, meine Mutter hat Henrietta Lacks geheißen, sie is 1951 gestorben, John Hopkins hat ihre Zellen genommen, und die Zellen sind heute noch am Leben. Die vermehren sich, wachsen und verbreiten sich, wenn man se nich einfriert. Die Wissenschaftler nennen sie HeLa, und sie is auf der ganzen Welt in Krankenhäusern und in den ganzen Computern und im Internet, überall.
Wenn ich mich beim Arzt untersuchen lass, sag ich immer, meine Mutter war HeLa. Dann sind se ganz aufgeregt und erzählen mir alles mögliche Zeugs, wie ihre Zellen geholfen haben, meine Blutdruckpillen und Antidepressionspillen zu machen, und wie alle diese wichtigen Sachen in der Wissenschaft nur wegen ihr passieren konnten. Aber mehr erklären se nich. Se sagen nur, boah, deine Mutter war aufm Mond, sie war in Atombomben und hat diesen Impfstoff gegen Kinderlähmung gemacht. Ich weiß nich, wie se das alles gemacht hat, aber ich nehm an, sie hat sich drüber gefreut, ich mein, se hat damit doch vielen Leuten geholfen. Ich glaub, das hätt ihr gefallen.
Aber ich hab das immer komisch gefunden, wenn deine Mutter so viel für die Medizin getan hat, warum können ihre Angehörigen es sich dann nich mal leisten, zum Arzt zu gehn? Is doch verrückt. Die Leute sind durch meine Mutter reich geworden, und wir ham nich mal gewusst, dass se ihre Zellen genommen haben, und wir haben keinen Pfennig gekriegt. Das hat mich so verrückt gemacht, da bin ich krank
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