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Die unterirdische Sonne

Die unterirdische Sonne

Titel: Die unterirdische Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Verwirrnis. Dass seine Flügel zusammengebunden waren, war keine Überraschung, er litt nicht drunter. Er war dran gewöhnt, wie an all das andere.
    Verwirrnis in der Finsternis. Es war ziemlich dunkel, da, wo er stand und nicht vom Fleck kam. Kein Mensch kommt vom Fleck, liebe Kinder, wenn solche Blicke ihn einfangen wie ein Schmetterlingsnetz. Brutal feige kam Namsi sich vor, aber was er tun sollt, wusst er nicht. Zeit verging. Namsi trank ein Bier aus der Flasche, er war vierzehn Jahre alt und biertrinkberechtigt.
    In seinem Kopf stolperten die Gedanken übereinander. Beweis: Er brachte kein Wort raus, keinen Ton. Auch als das Wesen vor ihm stand und ihm die leere Flasche aus der Hand nahm, klappte er bloß seinen Mund auf und ließ ihn so offen. Das war peinlich, er wusst es, konnt es aber nicht ändern. Mein Name ist Bibiana, sagte das Wesen.
    Bibiana war ihr Name.
    So einen Namen hatte er noch nie gehört.
    Er wollt ihn aussprechen, aber er brachte die Buchstaben nicht in die richtige Reihenfolge. Unmöglich. Er hasste sich sofort dafür. Aber sie nahm seine Hand und hielt sie fest. Unfassbar. Wieso hatte sie plötzlich seine Hand in ihrer?, fragte er sich, der Depp. Später verließen sie das Haus bei der Kirche und gingen durch die verschneiten Straßen.
    Sie hatten beide eine Mütze auf, seine hatte sehr viel Geld gekostet, damit ihr Glanz auch auf Frau Doktor Gott abfärbte, wenn sie neben ihm ging. Die Mütze von Bibiana war einfach aus Wolle und fertig. So gingen sie dahin, und sie hielt immer noch oder schon wieder seine Hand. Das passiert neunundzwanzigtausend Mal am Tag auf dem Planeten. Das wusste der elektrische Schmetterling aber nicht. Er glaubte, es würd nur ein einziges Mal passieren, und zwar jetzt, und zwar nur in der Kleinstadt und zwar nur, wenn es schneite.
    Ein Glaube ist so wichtig. An der Kreuzung bei der Sparkasse blieb Bibiana stehen. Plötzlich. Er dann halt auch. Sie standen da und es schneite. Und die Flocken tanzten vor seinen Augen, als hätten sie einen Grund dafür.
    Dann passierte was und dann passierte nichts mehr. Und als er durch die tausend Flocken hindurchschaute, war Bibiana verschwunden.
    Die war weg und er war noch da. Wozu? Also schleppte er sich nach Hause, wo Frau Doktor Gott und Doktor Gott schon auf ihn warteten. Er setzte sich im Finstern auf die Stange im Käfig, und als der nächste Morgen kam, hockte er immer noch da und hatte keinen einzigen Traum gehabt. Außer den von Bibiana, aber der war ja wirklich gewesen, daran gab’s keinen Zweifel.
    Frau Doktor Gott wollt Bibiana nicht. Daran gab es auch keinen Zweifel. Für Frau Doktor Gott war Bibiana Abschaum.
    Abschaum, liebe Kinder, ist das, was bestimmte Leute nicht mögen, aber nicht wegwischen können, nicht wegputzen, nicht wegkriegen, nicht wegschmeißen. Riesenproblem: Namsi und Bibiana. Dann: kein Problem mehr. Namsi und Bibiana begegneten sich nicht mehr. Wie das? Einfach: Namsi nahm Vernunft an und hatte dann dieselbe Vernunft im Kopf wie Frau Doktor Gott.
    Das war ein längerer Prozess, der aber dann endete. Wie früher sein Verfliegen im Keller. Ständig verlor er die Orientierung und landete in der brutalsten Finsternis vom ganzen Haus.
    Da unten war es so dunkel, dass er immer glaubte, er wär selber aus Dunkelheit und hätt keine Knochen mehr und keine Haut, keine Augen und keinen Atem. Ein Glaube ist so wichtig. Er hockte zwischen Mäusen, die ihn nicht auffraßen. Wie später die Wildschweine. Die Mäuse glotzten ihn nur an, und er wusste nicht mal mehr, ob er noch Augen hatte zum Zurückschauen. Klar, er hatte die Mäuse gesehen, aber vielleicht gingen seine Blicke nur noch in eine Richtung, versteht ihr, liebe Kinder? Sehen konnt er noch was, aber nicht mehr selber schauen. Davon war er sehr lange Zeit überzeugt. Wie davon, dass Bibiana Abschaum war. Wie davon, dass er, wenn er ein weißes Hemd und eine Krawatte anhatte, ein besonders herausgeputzter Schmetterling wär.
    Er war so dumm. Er glaubte sogar, dass Doktor Gott ihn aus purer Gerechtigkeit die Treppe hinuntergeworfen hatte. Denn es gab doch Gerechtigkeit in der Welt, da war er sich sicher, und jemand war dafür verantwortlich und musste Wache halten, dass nichts schieflief.
    In dem Haus, wo er hauste, lief selten was schief, fast nie. Doktor Gott brachte die Dinge immer ins Lot, dafür war er weltberühmt. Die Leute liebten ihn, und er liebte die Leute, und was er entschied, stimmte extrem. Deswegen kugelte Namsi wie befohlen die

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